02 - Schatten-Götter
jedoch ist voller Fallen, Barrieren und Wächter …« Seine Stimme klang fasziniert. »Ich war am Eingang dieses Tunnels und habe es mit eigenen Augen gesehen …«
Keren schaute Orgraaleshenoth an. »Und du willst, dass ich mit dir da hinuntergehe, oder? Erneut diese Qualen durchlebe … Nein, niemals! Möge die Nacht dich verfluchen! Und dich auch, Domas, weil du mich hierher verschleppt hast…!«
Rakrotherangisal schüttelte den Kopf. »Jede einzelne dieser Verteidigungsanlagen des Tunnels vermöchte Euch mit einem Lidschlag zu vernichten. Wir dagegen mögen in der Lage sein, ihnen zu widerstehen und sie sogar zu zerstören, doch am Ende dieses gewaltigen Schachtes erwartet uns sehr wahrscheinlich auch unser Ende. Aus diesem Grund benötigen wir die Hilfe einer Person, welche diesen Stab zur Oberfläche zurückbringen kann, jemand, der verlässlich dafür Sorge trägt, dass seine Macht nicht missbraucht wird.«
»Aus diesem Grund haben wir dich hierher gebracht«, sagte Orgraaleshenoth düster. »Du besitzt die einzigartigen Qualitäten, die bei dieser Aufgabe von unschätzbarem Wert sind, aber du hast die Wahl. Solltest du dich entscheiden, nicht mit uns zu gehen, werden wir Freiwillige unter Domas' Männern auswählen, sie reinigen und…«
Domas mischte sich erneut ein. »Falls deine Zweifel dich hindern, Keren, wäre ich gern derjenige, der an deiner Stelle mit ihnen geht. Du kannst die Verteidigung von Untollan leiten, du hast eine starke Hand.«
Du hast die Wahl…
Das Bild ihres zerbrochenen Schwertes, das qualmend und verbogen auf dem Boden in einem Tunnel lag, erschien vor ihrem inneren Auge. Sie erinnerte sich an das beißende Feuer, das immer und immer wieder durch ihren Körper getobt war. Bei dieser Erinnerung fing sie an zu zittern, was sie bis in die Fingerspitzen fühlen konnte.
»Lady, mir ist bewusst, was Ihr bei den Prüfungen erdulden musstet«, sagte die jüngere Dämonenbrut. »Solltet Ihr uns jedoch nach unten begleiten, werdet Ihr keine solchen Qualen erdulden müssen, das schwöre ich Euch.« »Und welchen Schwur leistest du mir?« Keren sah Orgraaleshenoth an.
Der Prinz der Dämonenbrut sah sie an, doch sie entdeckte weder Arroganz noch Ärger in seiner Miene, nur eine Art stolzer Trauer.
»Bei Schwinge und Klaue, bei Seele und Blut gelobe ich dir, Keren Asherol, dir keine Boshaftigkeit anzutun, weder durch Willen noch durch Tat.«
Sie war noch immer nicht überzeugt. »Erzählt mir mehr über diesen großen Schacht«, forderte sie die beiden auf. »Ich habe von Untollan gehört. Angeblich eine uralte Festung aus einer Zeit weit vor dem Langen Winter, später dann ein Kloster des Nachtbärenclans, danach der Sitz eines Brigantenkönigs und dann …« Sie zuckte mit den Schultern. »Von einem Schacht habe ich jedoch niemals etwas gehört.«
»Weil er im Herzen dieser Berge vor Äonen versteckt und versiegelt wurde«, erwiderte Rakrotherangisal. »In Euren Augen ist Untollan eine beeindruckende, nahezu uneinnehmbare Festung hoch auf einem Berg. Es gibt jedoch noch andere, uralte, geschliffene Bastionen überall in den Druandags auf den anderen Berggipfeln.« »Er spricht die Wahrheit«, fiel Domas eifrig ein. »Ich habe sie selbst gesehen … Sie haben alle dieselbe Architektur, und die erhaltenen Reliefs sind ebenfalls identisch.«
»Und was bedeutet das?«, fragte sie. »Dass sie alle von denselben Menschen erbaut wurden …« Als wollten sie die inneren Täler der Druandags schützen, dachte sie. Aber hier gibt es doch nichts weiter als Ödnis, stehende Gewässer und felsige Böden, auf denen nichts Gesundes gedeiht…
Domas wollte etwas sagen, aber die jüngere Dämonenbrut kam ihm zuvor. »Einfach ausgedrückt gehörten sie alle zu demselben Komplex, derselben Zitadelle, erschaffen von derselben Macht.«
»In uraltem Othazi«, fuhr Orgraaleshenoth fort, »nannte man sie Kol Galeltuntollan, aber ihr ursprünglicher Name war ein Yulatsi-Wort, das ›Himmelsmächtige‹ bedeutete, und eben dieser Name hat auch in den Mythen und Legenden der Ersten Zeitalter überlebt…«
Domas lächelte sarkastisch. »Willkommen, Keren, in Jagreag.«
Ystregul saß auf einem gepolsterten Sattel, der auf den Rücken eines Nachtjägers geschnallt war, und umklammerte fest die Stachelstöcke, während er das Geschöpf durch die windige, verschneite Dunkelheit steuerte. Als das breite, runde Dach der Zitadelle von Gorla in dem Schneetreiben vor ihm auftauchte, fand er zunächst nirgendwo einen
Weitere Kostenlose Bücher