02 - Schatten-Götter
geeigneten Platz, an dem der Nachtjäger hätte landen können. Er knurrte und sah schließlich eine geschwungene Plattform, die aus einem der oberen Stockwerke herausragte, und dahinter einen hohen, offenen Bogengang, durch den goldenes Licht in die Nacht schien. Einen Moment später begann sein Nachtjäger den Abstieg mit mächtigen Schwingenschlägen, die den Schnee von der Plattform fegten. Das Biest knurrte gereizt über die Kälte und den Schnee, als es auf seinen Hinterbeinen landete, bevor es sich vornüber auf alle viere sinken ließ. Während Knechte und Wärter in langen Kapuzenumhängen heraneilten, um die gewaltige Kreatur zu versorgen, glitt Ystregul aus dem Sattel und landete geschickt auf den Füßen. Sein dunkles Haar und seine prachtvollen, schwarzen Gewänder waren trocken und vollkommen unberührt vom Schnee, und seine Augen glühten in aufgestauter Wut, als er in die Wärme und den stechenden Geruch des Nachtjägerstalles trat. Grüngewandete Akolythen kamen ihm entgegen und knieten vor ihm nieder. Auf ihren haarlosen, glänzenden Schädel spiegelte sich das Licht der Fackeln. Sie standen auf und traten zur Seite, als ein weiterer Mann, der wie ein gemeiner Krieger gekleidet war, auf ihn zukam und sich grinsend verbeugte. Er sah aus wie Schattenkönig Byrnak, war aber zu groß …
»Seid gegrüßt, Großer Gebieter Ystregul«, sagte der Mann. »Ich bin Azurech. Willkommen in Gorla. Seine Garnison wird Euren Namen zur Feier des Tages jubelnd rufen …« »Wo steckt er?« Ystregul fletschte vor Wut die Zähne. »Du hast sein Gesicht, aber du bist nicht er. Wo ist er?« Der Mann namens Azurech senkte den Kopf. »Gebieter, er weiß, dass Ihr kommt und erwartet Euch im großen Bankettsaal. Kommt, ich werde Euch zu ihm führen!«
Am Ende der Stallungen gelangten sie durch massive Türen in einen langen, in bläuliches Licht getauchten Raum voller juwelenbesetzter Sättel und Stachelstöcke, an dessen Ende ein dunkles, schimmerndes Portal lag. Azurech trat zuerst hindurch und verschwand. Ystregul folgte ihm auf dem Fuß.
Sie tauchten auf einem geschwungenem Steg am Ende eines langen, ovalen Raumes wieder auf, dessen gewölbte Decke im Dunkeln lag und von gewaltigen Balken getragen wurde. Das Licht von Fackeln und Lampen schimmerte auf dem dunklen Holz des Raumes und ließ die Schilde und Banner glänzen, welche die Wände schmückten. Zwei lange Tische nahmen beinahe den ganzen Raum in Beschlag, an dessen anderem Ende ein Podest auf niedrigen, breiten Pfeilern thronte.
Eine einzelne Gestalt in brauner Reiterkluft saß zusammengesunken mit dem Rücken zum Raum an dem Tisch und blickte durch die halb geöffneten Vorhänge der Balkonarkaden hinaus.
»Lass uns allein, Azurech«, sagte die Gestalt heiser.
Der hünenhafte Krieger verbeugte sich und verschwand lautlos durch die Tür.
Ystregul runzelte die Stirn, als hätte er diese gleichgültige Reaktion nicht erwartet, trat auf den Boden des Bankettsaales hinunter, schritt um die Seite herum und erklomm mit einem Schritt das Podest. »Ich bin hier, um Vergeltung zu üben, Byrnak«, sagte er. Jedes seiner Worte verströmte seinen Hass. »Du wirst für meine Einkerkerung zahlen, für die Qualen, die du mir auferlegt hast, jede Sekunde meiner Gefangenschaft wird ein Jahr Leiden für dich bedeuten …«
»Was weißt du von Gefangenschaft?« Die andere Stimme wurde deutlicher und klang recht hoch. Ystregul blieb wie angewurzelt stehen. »Das ist nicht Byrnaks Stimme!«, stieß er hervor. »Steh auf! Sieh mich an …!«
Die Gestalt erhob sich leichtfüßig vom Stuhl, schob ihn zurück und drehte sich um.
Es war eine schlanke, junge Frau mit blondem, glattem Haar.
»Eine Metze!«, spie Ystregul verächtlich hervor. »Wo ist er? Ich weiß, dass er in der Nähe ist. Ich kann ihn beinahe riechen …«
»Du brauchst ihn nicht länger zu suchen«, sagte die Frau und grinste plötzlich. Ihr Mund wurde flammendrot, und ihre Augen glühend schwarz. Sie sprang hoch in die Luft und stürzte sich auf ihn herab. Ystregul spie einen Fluch zwischen den Zähnen hervor und wollte die Macht des Brunn-Quell loslassen, als er erstarrte. Die Frau wurde langsamer, bis sie unmittelbar vor ihm schwebte. Dann streckte sie die Hände aus und umfasste sein Gesicht. Er konnte den Kopf nicht rühren, während er in ihre Augen starrte.
»Ich fühle mich in dir«, zischte sie immer noch schwebend. »Dieser Teil von mir, der all diese sterblichen Jahre in deinem elenden Leib und
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