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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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tun hatte, wurden die Gründe für ihre Wahl offensichtlich. Sein Haar war jetzt schlohweiß, seine Haut hatte die Farbe von gebleichten Knochen, und seine Augen waren fahlgrau. Wenn er über die Balustrade der Empore hinunterblickte, erkannte er dort fünf Männer, die ganz genauso aussahen. Suviel hatte erklärt, dass dies die Geistschatten waren, deren Schöpfung ihn all seiner Erinnerungen beraubt hatte, und ihm erklärt, wie er sie töten musste, um wiederzuerlangen, was ihm geraubt worden war. Mazaret fröstelte, als er seine Doppelgänger und die drei identisch aussehenden Frauen beobachtete, die mit ihnen redeten und scherzten. Sie alle sahen aus wie Suviel, und sie hatte ihm erklärt, was es mit ihnen für eine Bewandtnis hatte.
    Es ist nicht nötig, sie alle um meinetwillen umzubringen, hatte die Magierin gesagt.
    Wollte er sie überhaupt töten, sie alle? Suviel hatte ihm ein langes, gerades Schwert mit einer kleinen Rune hoch oben auf der Klinge gegeben, aber verstand er damit umzugehen? Mazaret hatte mehr über sein Leben wissen wollen, das für ihn verloren schien, wer seine Freunde und Feinde gewesen waren, und welche Rolle Suviel darin spielte. Wenn sie wirklich seine Freundin wäre, wie sie behauptete, würde sie ihn dann in eine solche Gefahr schicken? Sicherlich, sie hatte versucht, ihm von all den Schlachten und Kämpfen zu berichten, die sie bis zu diesem Moment geführt hatten, aber sein Verstand hatte sich in diesem undurchdringlichen Gewirr von Schattenkönigen, Oberhäuptlingen, Geistschatten und Reichen hoffnungslos verheddert. Dennoch kehrten seine Gedanken immer wieder zu Suviel zurück, zu ihren hellen Augen, ihrem offenen Blick, ihrem freundlichen Lächeln, ihrer Geduld …
    Die Stimmen unter ihm schwollen an und erregten seine Aufmerksamkeit.
    »… nicht in ihrer Stadt hocken bleiben, während wir ihre süße kleine Königin haben«, sagte ein Geistschatten zu einem anderen. »Sie werden sie befreien wollen, also solltet Ihr dafür sorgen, dass Eure Krieger bereit sind. Niemand sonst wird …«
    Der andere Geistschatten lachte höhnisch, ebenso wie zwei der weiblichen Schatten. Der Sprecher zuckte mit den Schultern, ging auf die andere Seite des Raumes und verschwand aus Mazarets Blickwinkel. Einen Moment lauschte er den Schritten, bis ihm voller Panik klar wurde, dass der Geistschatten die Stufen zur Empore hinaufstieg, auf der er sich verbarg. So lautlos wie möglich kroch er zu dem dunklen Durchgang, richtete sich auf und hastete den Gang entlang, der in einen breiten, erleuchteten Korridor mündete. Der Boden bestand aus grünen Fliesen mit verschlungenen Mustern, die Buchstaben ähnelten, während in die Wände aus blassem, rosafarbenem Stein ein langes Relief eingemeißelt war.
    Mazaret blieb einen Augenblick zögernd davor stehen und kam dann zu dem Schluss, den Geistschatten in einen Hinterhalt zu locken und ihn bewusstlos zu schlagen. Danach würde er entscheiden, was er weiter unternehmen wollte. Er zog sein Schwert.
    »Planen wir einen Verrat, Bruder? Ist das nicht ein wenig überstürzt?«
    Überrascht wirbelte Mazaret mit gezücktem Schwert herum, und sah sich einem anderen Geistschatten gegenüber, der an der Wand lehnte. Er trug ein weißes Wams mit hohem Stehkragen, ein prächtig besticktes, zinnoberrotes Hemd und legte eine Hand gelassen auf den Griff seines Schwertes, dessen Spitze auf den Fliesen ruhte. Mazaret erwiderte nichts, sondern wich hastig zurück, als der Geistschatten, der ihm von der Empore gefolgt war, ebenfalls in den Gang trat, und sie beide stirnrunzelnd ansah.
    »Wir haben keine Zeit, uns solchen Narrheiten zu widmen«, erklärte er.
    Der andere lächelte träge. »Vertrau mir, die Zeit haben wir doch.« Er hob die Klinge und deutete auf Mazaret. »Ich dachte erst, er wäre einer unserer Brüder, bis mir klar wurde, dass dies nicht ganz der Wahrheit entspricht…«
    Der graue Geistschatten musterte Mazaret prüfend und grinste dann. »Er ist es. Der Ursprung.« »Der Keim von uns allen, Bruder«, erklärte der andere. »Jetzt ist er nur noch eine geschrumpfte Hülle, bar jedes Wissens und Ziels, und hat längst den Zeitpunkt seines Todes überschritten. Komm …«, sagte er zu Mazaret, »ich geleite dich mit Freuden zur Gnade deines Grabes.«
    »Die einzige Gnade, die mich interessiert«, erwiderte Mazaret, »ist die, deine sabbernde Zunge für immer verstummen zu lassen.«
    »Ah, also ist doch ein Funken des ursprünglichen Geistes übrig

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