02 - Schatten-Götter
geben ließ, trat Nerek zu Keren und reichte ihr die Hand. Keren zog sich hoch, murmelte einen Dank und klopfte ihre Kleidung ab.
»Das ist jetzt schon das zweite Mal, Keren, dass es Byrnak nicht gelungen ist, dich umbringen zu lassen.« Gilly lehnte lässig an einem Pfeiler in der Ecke. »Vielleicht wird er des Spieles ja allmählich überdrüssig.« Keren warf ihm einen finsteren Blick zu. »Das ist kein Spiel.«
»Nein.« Nerek starrte auf die tote Frau. »Er wird nie aufhören. Niemals.«
Yasgur stand links neben dem Thron auf der großen Empore, von der aus man den Fünfkönigs-Pier überblicken konnte. Er trug einen pelzgefütterten Mantel und eine zeremonielle Rüstung, die sowohl seiner Mogaunherkunft als auch seiner Wahlheimat entsprach. Die Menschen, die sich auf den Etagen und vor den Umfriedungen drängten, jubelten, trampelten mit den Füßen und klatschten. Die Gesänge des Chores waren kaum zu hören, und als die Kaiserliche Barke durch die geöffneten Tore hereinglitt, steigerte sich der dröhnende Lärm sogar noch, und ein Meer von Blüten regnete von den Dachsparren herab.
Auf der anderen Seite des Podiums stand die Äbtissin Halimer, jetzt anerkannte Hohepriesterin des Erden-Mutterglaubens. Yasgur schaute zu ihr hinüber. Sie war eine große Frau mit einer gemessenen, beeindruckenden Ausstrahlung, welche die Menschen in ihrer Umgebung beinahe zwang, sich ebenfalls ruhig und besonnen zu benehmen. Was die Äbtissin wohl von den Gerüchten über das Auftauchen der Erden-Mutter hielt? Angeblich sollte die Göttin auf dem Höhepunkt des Kampfes im Hohen Turm erschienen sein und die Geister der Toten zurückgefordert haben. Ob das stimmte?
Yasgurs Schutzgott war Vaarut, der Herr der Jagd. Niemand hätte je gehört, dass er den Legenden entstiegen und mit den Sterblichen gesprochen hätte. Abgesehen vom verblendeten Geplapper der Geistesschwachen. Yasgur überlegte, ob er nicht zu dem anderen Glauben übertreten und sich einer Göttin verpflichten sollte, welche tatsächlich in die Angelegenheiten der Sterblichen eingriff.
Dann jedoch stellte er sich vor, was wohl seine kommandierenden Offiziere in diesem Fall sagen und tun würden, und lächelte sarkastisch. Besser, er tat es nicht. Er balancierte ohnehin schon auf einem schmalen Grat, was die Gefühle und Loyalität des Feuerspeer-Clans anging, vor allem seit die Zahl dieser feigen Überfälle stieg, bei denen maskierte Räuber seine Krieger in Hinterhalte lockten. Unzufriedenheit machte sich breit, und viele Clanbrüder waren überzeugt, dass die Feuerspeere durch ihr Bündnis mit ihren ehemaligen Vasallen verflucht wären. Nur ihr tief sitzendes Misstrauen gegen die anderen Clans und Stämme und die abscheuliche Entehrung von Hegrouns Geist durch die Schattenkönige sorgten dafür, dass ihre Disziplin und Loyalität weiterhin Yasgur gehörten. Fürs Erste, jedenfalls.
Die Menge brüllte aus Leibeskräften, als die Zeremonienbarke die Laufplanke herunterließ, und Tauric in seinem langen blauen Mantel auf den gepflasterten Pier trat. Zwei Männer und eine Frau, die Hüter des Gesalbten, näherten sich ihm und verbeugten sich. Yasgur war die Rituale der Kleinen Krönung mit den Zeremonienmeistern durchgegangen, aber einige Einzelheiten waren ihm immer noch unklar. »In früheren Zeiten, Mylord, stand ein Oberpriester der Wurzelmacht links vom Thron«, hatte ihm einer der Meister erklärt. »Unter den gegebenen Umständen scheint es jedoch angemessen, dass einer der Lordregenten diese Rolle übernimmt. So dachten wir.«
»Welche rituellen Worte muss ich sprechen?«, hatte sich Yasgur erkundigt.
»Keine. Nur der Thronfolger spricht, sobald die Krönung stattgefunden hat, und dann auch nur zu den Bürgern.« Yasgur sah zu, wie Tauric den Kopf senkte. Die Frau trat vor und legte ihm ein Muschelamulett um den Hals. Tauric richtete sich auf und reichte ihr die geflochtene Blumenkrone. Danach waren die beiden Männer an der Reihe. Der eine reichte ihm eine eiserne Laterne, der andere ein poliertes Stierhorn.
Yasgur runzelte die Stirn. Den Mogaun waren viele Zeichen und Symbole heilig, und er wusste, dass die eiserne Lampe ein Symbol für den Herrn des Zwielichts war. Das Stierhorn stand für Orrohn, den Herrn des Waldes. Die Muschelkette war ihm ebenfalls bekannt, aber er konnte sich im Moment nicht an ihren Sinn erinnern. Er wünschte sich nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag, er hätte die Ratgeber des Palastes ignoriert und statt dessen Atroc
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