02 - Schatten-Götter
mit seinen hellen, flammenden Augen.
»Nimas, Majestät«, sagte er. »Dort werdet Ihr die Macht finden, die Ihr sucht.«
Tauric konnte seine glühende Begeisterung kaum zügeln. »Wann reisen wir ab? Wie bald?« »Sehr bald, aber nicht zu bald, Majestät. Wir müssen auf ein Zeichen warten und uns bereit halten. Aus diesem Grund müssen wir uns vorbereiten.« Er lächelte und entblößte dabei faulende Zähne. »O ja, in diesem Fall ist eine gründliche Vorbereitung unabdingbar.«
6
Fürchte meine Hand,
Welche deine Mauern fallen lässt,
Und mächtige Heere
Aus Sand erschafft.
CALABOS, DIE STADT DER TRÄUME, 2. AKT, it.
In dem fahlen, grünen Licht, tief unter den unterirdischen Kerkern der Zitadelle von Rauthaz, lehnte Byrnak an der Wand eines riesigen, stillen Gewölbes und schaute über einen ruhelosen See aus Leichen. Das Brunn-Tor hatte dies möglich gemacht. Es hatte eine große Leere geschaffen, die ein genaues Spiegelbild der gewaltigen Höhle unter Casall war, einen riesigen Werkraum, geeignet, das Heer der Finsternis auszuheben. Die kalte, feuchte Luft stank nach rostigem Eisen. Grüner Schimmer drang aus den dunklen, glatten Wänden und der Decke, und verschmolz mit der silbergrauen Strahlung, die zwischen den Leichen emporstieg. Der See war in ständiger Bewegung, aber es war kein Wasser, das Wellen warf, und auch die Leichen bewegten sich nicht, sondern eine riesige, schimmernde, lautlos wogende Fläche aus Seelen. Byrnak hockte sich an den Rand und sah die dünnen, aufgeblähten Formen, die sich dicht aneinander pressten und um den Besitz des Fleisches rangen, das auf ihnen trieb …
Spring hinein, Wurm … Geselle dich zu denen ohne Bewusstsein …
Byrnak erhob sich hastig und trat rasch vom Rand zurück.
Bedenke es einen Moment. Wenn du diese Gestalt aufgibst, könntest du sehr schnell eine andere ergreifen, sobald ihr Besitzer erledigt ist… Und du wärst endlich von mir befreit…
Byrnak lachte mit unverhüllter Verachtung. Ich kann mir wenigstens ein halbes Dutzend Folgen einer solchen Handlung ausdenken, dachte er. Und keine von ihnen gefällt mir sonderlich.
Eine Vision schoss ihm durch den Kopf. Er sah das Bildnis eines Titanen mit einem gehörten Helm, der sich langsam umdrehte und ihn angrinste. Seine Augen waren zwei schwarz schimmernde Schlitze …
Du wirst keinen Frieden finden, keinen frieden
… Eine riesige Hand griff nach ihm …
Er zwinkerte, sah wieder das Gewölbe vor sich und knirschte mit den Zähnen.
»Hältst du unseren Gast bei Laune, Bruder?« Die Stimme näherte sich ihm langsam.
Grazaan schritt den Pfad am See entlang, gefolgt von drei kahlköpfigen Akolythen. Wie üblich trag er einen zerschrammten Lederharnisch und eine enge Hose. Darüber hatte er einen weiten, dunkelroten Mantel geworfen, der mit Spinnen und Skorpionen besetzt war. Er schien unbewaffnet zu sein. Seine Akolythen trugen mehrere zusammengerollte Taue bei sich.
»Sei gegrüßt, Bruder«, sagte Byrnak. »Er scheint tatsächlich keinen Schlaf zu benötigen. Ich dagegen bedauerlicherweise schon.«
Grazaan nickte und blieb ein paar Schritte vor ihm stehen. »In der vorletzten Nacht habe ich den Fehler begangen, unvorbereitet einzudösen. Als ich aufwachte, lag meine Linke noch an der Gurgel eines meiner Diener, den ich erwürgt hatte. Deshalb habe ich mir eine Vorsichtsmaßnahme ausgedacht.« Er deutete mit einem leichten Neigen des Kopfes auf die Akolythen.
»Wenigstens bleibt unser Verstand verschont«, meinte Byrnak.
Grazaan runzelte die Stirn. »Wie erschien dir unser Bruder Thraelor, als ihr beide das letzte Mal miteinander beraten habt?«
»Müde, natürlich, und ein bisschen abgelenkt. Jedenfalls war er das, als wir heute morgen in Gedankensprache miteinander beratschlagten.«
»Ich habe gestern mit ihm mittels des Brann-Spiegels gesprochen«, erklärte Grazaan. »Ich konnte kaum ein vernünftiges Wort aus ihm herausbekommen, und das Letzte, was er sagte, war: ›Ist er die Maske oder bin ich es?‹«
Byrnak überlief ein kaltes Unbehagen, und ihm war, als hörte er ein bellendes Gelächter tief in sich, das jedoch ganz schwach klang, als käme es aus weiter Ferne.
»Wir sollten ihn im Auge behalten«, schlug Grazaan vor. »Ich nehme an, du bist hier, um dich über unsere Fortschritte zu erkundigen und uns anzutreiben, mehr in kürzerer Zeit zu vollbringen.«
»Einige Intrigen werden bald Früchte tragen, Bruder«, erwiderte Byrnak. »Irgendwann in den nächsten zwei Tagen werden
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