02 - Schatten-Götter
Eure scharfe Zunge wirklich ein bisschen mehr üben, was Beleidigungen angeht, wisst Ihr? Eure letzte Bemerkung ergibt schwerlich Sinn …«
Medwin richtete sich auf seiner Truhenbank auf, die an der Vorderseite des Kastenwagens angebracht war. »Ich weiß nicht, was mich zuerst in den Wahnsinn treibt«, meinte er gereizt. »Diese monströse Dekoration oder Euer Gezänk!«
Gilly betrachtete die rotgoldenen Wandbehänge, die verspielten Schnitzereien, die leuchtend blau angestrichen waren, die klingelnden Trauben aus Amuletten, die bronzene, offene Talglampe, die von der Decke pendelte, und die mottenzerfressenen, schweren, tiefroten Vorhänge, die vor der hinteren Tür hingen. Es war schaurig schön.
Er strich sich lächelnd über das Kinn. »Ich finde die Einrichtung eher beruhigend.«
»Im Vergleich zu Eurer unablässigen Streiterei kann einem das wohl so vorkommen«, gab Medwin bissig zurück. »Beschränkt Eure Unterhaltung doch bitte für den Moment auf Freundlichkeiten und das Notwendigste, einverstanden?«
»Meister Medwin«, sagte jemand außerhalb des Wagen.
Gilly stand rasch auf, schob den Riegel von dem großen, viereckigen Fensterladen zurück, stieß ihn auf und beugte sich in die kalte Nacht hinaus. Der Kommandeur ihrer Eskorte, ein Hauptmann der Stadtmiliz von Besh-Darok namens Redrigh, war neben den Wagen geritten. Das Flussufer und die hohen Klippen und Hänge von Gronanvel hinter ihm schimmerten unter ihrer Schneedecke leichenhaft fahl.
»Was gibt es, Hauptmann?«, erkundigte sich Gilly.
»Herr Cordale«, erwiderte Redrigh, »wir sind in Sichtweite von Vannyons Furt, aber am anderen Ufer brennen Feuer …«
»Dort wird gekämpft, Hauptmann«, ertönte Medwins Stimme vom Dach des Wagens, wo er aus dem Oberlicht einen weiteren Blick hatte. »Wie lange dauert es noch, bis wir die Stadt erreichen?«
»Mindestens noch eine Stunde, Meister. Eher zwei.«
Gilly betrachtete das dunkle Tal und seine hohen Flanken und versuchte, Einzelheiten an den weit entfernten, gelblich schimmernden Feuern auszumachen. Er war sich ziemlich sicher, dass dort Hütten und Gebäude brannten, aber mehr konnte er aus dieser Entfernung nicht erkennen. Außerdem waren die steilen Klippen im Weg, die sich zwischen dem Tal von Gronanvel und der Mündung der Gewässer hinter Vannyons Furt erhoben. An diesem Punkt führte die Straße zwischen dem gefrorenen Flussufer und den steilen, dicht bewaldeten Hängen entlang. Bald würde sie nach Süden abbiegen und in das hügelige Hochland ansteigen, bevor sie in die Schlucht mündete, die sie zu Vannyons Furt brachte. Jemand bohrte ihm einen Finger in die Schulter. Er seufzte, trat vom Fenster zurück und bot Keren mit einer spöttisch eleganten Handbewegung seinen Platz an.
Medwin stand auf der vierten Sprosse einer grünen Leiter, deren Farbe allmählich abblätterte, und die mit einem Scharnier an der Dachluke befestigt war, von wo er die Lage mit Hauptmann Redrigh diskutierte. Gilly lächelte. Nachdem sie in den Außenbezirken von Sejeend in einen Hinterhalt geraten waren, hatte der Hauptmann darauf bestanden, dass die drei Delegierten die Reise unter sichereren Bedingungen fortsetzten. Gilly hatte seine Kontakte vor Ort spielen lassen und ihre Wünsche übermittelt. Ein bisschen später am Tag standen sie staunend vor diesem bunten Kutschwagen. Medwin und Keren waren nicht besonders begeistert gewesen, aber Hauptmann Redrigh genügte, dass die Kutsche Wände und ein Dach aus solidem Holz aufwies. Der Handel war schnell abgeschlossen.
Gilly kehrte zu seiner gepolsterten Bank zurück, nahm die Kulesti von einem Haufen Wolldecken und wollte gerade erneut versuchen, sie zu stimmen, als er ein leises Kratzen hörte. Er runzelte die Stirn. Es schien von der Wand gegenüber zu kommen… Dann sah er es. Die dunkle Spitze eines Dolches, die zwischen Fensterladen und Rahmen nach dem Riegel tastete. Schnell und lautlos wickelte Gilly das Instrument in eine Decke, verstaute es in der Ecke, zog sein Breitschwert und drückte es gegen die schwere Baumwolle seiner Hose, um jedes Geräusch zu dämpfen.
Behutsam schlich er zum Fenster und setzte die Spitze seines Schwertes sorgfältig unter dem tastenden Dolch an. Dann rammte er die Klinge mit aller Kraft durch den Spalt, spürte, wie sie sich in einen Körper grub und hörte einen schmerzerfüllten Schrei.
»Achtung … Hinterhalt!«, brüllte er. Er riss seine Klinge zurück, wirbelte herum und zerrte Medwin am Arm aus dem Oberlicht.
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