02 - Schatten-Götter
seufzte und fuhr sich mit seiner gesunden Hand durchs Haar. »Also gibt es keine Erklärungen«, sagte er. »Das ist sehr schade. Ich habe so merkwürdige und beunruhigende Träume … Manchmal bin ich wieder in Oumetra, reite durch verlassene Straßen und suche nach Alael und Lord Mazaret, aber es ist niemand da. Die Sonne wird langsam schwarz und taucht alles in Dunkelheit.« Er drehte sich zu Bardow um und sah ihn gequält an. »Manchmal erklettere ich einen gewaltigen Baum, dessen Stamm und Zweige aus Leichen bestehen. Sie sind alle grau und unbeweglich, aber ich kann bei jedem Griff ihre Schmerzen fühlen, während ich hinaufklettere und nach etwas suche, ohne zu wissen, was es ist.«
Bardow lächelte schwach. »Dieser Traum ist leicht zu deuten, Majestät. Pflicht kann nicht mit abstrakten Regeln oder Maßstäben gemessen werden, sondern hat ein sehr reales Eigengewicht.«
»Ganz genau, Erzmagier.« Tauric richtete sich auf. »Ich habe Verantwortung zu tragen und eine Pflicht zu erfüllen.« Er starrte hinaus zu der feindlichen Zitadelle. »Wie auch immer ich es vermag.«
Er drehte sich um und ging, blieb aber im Durchgang noch einmal stehen. »Würdet Ihr mich informieren, sobald Yasgur zurückkehrt?«
»Selbstverständlich, Majestät.«
»Noch etwas. Gehört einem der Palastverwalter zufällig ein großer, schwarzer Hund?«
»Meines Wissens nach nicht, Sire«, antwortete Bardow. »Warum fragt ihr?«
Tauric zuckte mit den Schultern. »Ich habe in den letzten paar Nächten einen durch die Gärten schleichen sehen, und ich dachte, ich hätte ihn auch heute früh in der großen Halle gesehen.«
Bardow schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass einige Kutscher und einer der Stallknechte Hunde haben, aber es sind alles braune, kurzhaarige aus demselben Wurf. Ich werde diesbezüglich sofort Erkundigungen anstellen, Majestät.«
»Danke, Erzmagier, bis später.«
Dann ging er und ließ Bardow mit der Frage zurück, was Tauric gemeint haben konnte, als er davon sprach, seine »Pflicht zu erfüllen.«
Auf einer hölzernen Plattform hinter einer zur Hälfte erneuerten Mauer hüllte sich Atroc enger in seine Felle, um sich vor der schneidenden Kälte zu schützen. Unter diesem grausamen grauen Himmel zu zittern und auf Yasgur zu warten, dachte er, sollte eigentlich die Pflicht eines Jüngeren sein. Etwa zweihundert Meter nördlich der Klamm hatten zehn Reiter aus Gorla auf einer bewaldeten Anhöhe neben einem ausgebrannten Gehöft ein Lager aufgeschlagen. Er starrte finster in ihre Richtung, doch aus dieser Entfernung konnte er nur erkennen, dass sie alle dunkle Kapuzenmäntel trugen. Einer stützte ein großes, gerafftes Banner auf einem Baumstumpf ab, was vermutlich irgendeine Kriegsstandarte war. Es war kaum mehr als eine überhebliche Geste der Seite, die sich im Gefühl des sicheren Sieges wähnte, so etwas zu Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen. Er schnaubte. Und warum seid ihr nicht schon in Besh-Darok, Kinder der Furcht?, dachte er. Sind auch Eure Ängste mächtig geworden?
Neben ihm stand Yarram, der neue Lordkommandeur der Ritter vom Orden des Vater-Baumes. Er war einer der zähesten und unbeugsamsten Krieger, denen Atroc in seinem ganzen Leben begegnet war. Der Grimm dieses Mannes beruhte gewiss teilweise auf dem Verlust von Lordregent Mazaret, aber Atroc konnte nicht widerstehen, den Mann zu prüfen, um herauszufinden, was hinter seinem unbeteiligten Äußeren lag.
»Wart Ihr schon immer ein Krieger, Freund Yarram?«, fragte er.
Der drahtige, grauhaarige Ritter sah ihn finster an. »Ist das wieder eine von Euren unhöflichen Belästigungen, Seher? Vielleicht solltet Ihr in jemand anderes Gedanken herumwühlen.«
Atroc zuckte mit den Schultern. »Unhöflich, hm? Nein, Herr, reine Neugier hat mich zu dieser Frage bewogen, das Verlangen, zu erfahren, welche Drehungen und Wendungen des Schicksals Euch an diesen kalten und gefährlichen Ort gebracht haben.«
»Das geht Euch nichts an, Herr.«
»Das stimmt fürwahr.«
Yarram holte seufzend Luft und räusperte sich. »Meine Familie stammt ursprünglich aus Sejeend. Meine Mutter und mein Vater waren Weber. Ich wäre auch einer geworden, aber meine Eltern sind bei einem Feuer in einem Webhaus ums Leben gekommen. Da habe ich beschlossen, in die kaiserliche Miliz einzutreten.« »Aha, ein Weber also«, sagte Atroc. »Ein edler Beruf. Könntet Ihr nicht ein paar Socken für meine kalten Füße weben, hm?«
Yarrams Reserviertheit schmolz, und er
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