02 Titan
forderte mit Nachdruck die Todesstrafe, wofür sich in der Folge auch die zwei Lucullus-Brüder, Piso, Curio, Cotta, Figulus, Volcacius, Servilius, Torquatus und Lepidus aussprachen. Sogar Caesars Neffe Lucius plädierte widerstrebend für die Höchststrafe. Zusammen mit Silanus und Murena befürworteten also vierzehn Männer von konsularem Rang die gleiche Strafe. Keine Stimme erhob sich dagegen. Die Stellungnahmen waren so einseitig, dass Cicero, wie er mir später erzählte, schon fürchtete, man würde ihn der Manipulation beschuldigen. Nach mehreren Stunden, in denen die Redner ausnahmslos die Todesstrafe gefordert hatten, stand Cicero auf und fragte, ob irgendjemand ein anderes Urteil vorschlage. Alle Köpfe wandten sich Caesar zu. Aber es war der Exprätor Tiberius Claudius Nero, der sich als Erster erhob. Er war einer von Pompeius’ Befehlshabern im Krieg gegen die Seeräuber gewesen und vertrat die Interessen seines Chefs. »Warum die Eile? Die Verschwörer sitzen hinter Schloss und Riegel. Ich denke, wir sollten Pompeius Magnus nach Hause zurückrufen, damit er sich um Catilina kümmert. Ist der Anführer erst einmal geschlagen, dann können wir in aller Ruhe entscheiden, was mit seinen Lakaien geschehen soll.«
Als Nero fertig war, fragte Cicero: »Möchte sich sonst noch jemand gegen ein sofortiges Todesurteil aussprechen?«
Und jetzt setzte Caesar langsam sein übergeschlagenes Bein auf den Boden und erhob sich. Sofort brach eine Kakophonie
aus lautstarken Zwischenrufen und höhnischen Bemerkungen los, aber Caesar hatte offensichtlich damit gerechnet und sich schon vorher überlegt, wie er darauf reagieren würde. Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stand er da und wartete, bis der Lärm sich wieder gelegt hatte. »Wer immer eine schwierige Frage zu bedenken hat«, sagte er mit seiner gelassen bedrohlichen Stimme, »der sollte aus seinem Herzen allen Hass und Zorn wie auch jede Zuneigung und jedes Mitgefühl verbannen. Die Wahrheit zu erkennen fällt schwer, wenn man seinen Gefühlen nachgibt.« Die letzten Worte sprach er mit einer derart beißenden Verachtung aus, dass es seinen Widersachern kurz die Sprache verschlug. »Ihr werdet euch fragen, warum ich die Todesstrafe ablehne …«
»Weil du auch schuldig bist!«, rief jemand.
»Wenn ich schuldig wäre«, erwiderte Caesar, »wie könnte ich meine Schuld besser verbergen, als mit euch allen in dieses Geschrei für die Todesstrafe einzustimmen? Nein, ich lehne die Todesstrafe nicht ab, weil diese Männer einmal meine Freunde waren – im öffentlichen Leben muss man solche Gefühle beiseitelassen. Ich lehne sie auch nicht ab, weil ich die Verbrechen als belanglos abtun würde. Offen gestanden, jede Art von Folter erscheint mir für diese Männer als zu milde. Aber das Gedächtnis der Menschen ist kurz. Ist das Urteil über einen Verbrecher erst einmal gefällt, dann ist seine Schuld schnell vergessen oder wird zum Gegenstand von Streit. Was nie vergessen wird, das ist seine Strafe, vor allem wenn sie drastisch ausfällt. Ich bin davon überzeugt, dass Silanus seinen Antrag im besten Interesse des Landes stellt. Und dennoch erscheint er mir … ich würde nicht sagen grausam, denn bei Männern wie diesen kann nichts zu grausam sein … erscheint er mir als den Traditionen unserer Republik wesensfremd.
Alle schlechten Präzedenzfälle haben ihren Ursprung in
Maßnahmen, die uns in ihrer Zeit als gut erschienen. Als Sulla vor zwanzig Jahren Brutus und andere kriminelle Glücksritter hinrichten ließ, wer von uns hat das nicht gebilligt? Die Männer waren Schurken und Unruhestifter, es herrschte allgemeines Einverständnis darüber, dass sie den Tod verdienten. Doch diese Hinrichtungen entpuppten sich als erster Schritt auf dem Weg in eine nationale Katastrophe. Es dauerte nicht lange, und jeder, der ein Auge auf das Land oder die Villa eines anderen geworfen hatte – am Ende reichten schon sein Geschirr und seine Kleidung –, denunzierte ihn als Verräter und ließ ihn umbringen. Die Brutus’ Tod bejubelt hatten, die wurden nun zum Henker gezerrt, und das Töten hörte erst auf, als Sulla all seine Gefolgsleute mit Reichtümern überhäuft hatte. Natürlich habe ich keine Sorge, dass Marcus Cicero etwas Derartiges unternehmen wird. Doch in einer großen Nation wie der unseren gibt es viele Männer mit vielen unterschiedlichen Charakteren, und wenn bei einem anderen Anlass in der Zukunft einem anderen Konsul so wie Sulla eine
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