02 Titan
bewaffnete Truppe zur Verfügung steht, dann könnte ein falscher Bericht für wahr befunden werden. Und wer sollte diesen Konsul dann noch aufhalten?«
Bei der Erwähnung seines Namens schaltete Cicero sich ein. »Ich habe den Ausführungen des Hohen Priesters mit großer Aufmerksamkeit zugehört«, sagte er. »Schlägt er etwa vor, die Gefangenen einfach freizulassen, damit sie sich Catilinas Armee anschließen können?«
»Keineswegs«, erwiderte Caesar. »Auch ich bin der Meinung, dass sie ihr Recht verwirkt haben, die gleiche Luft zu atmen und das gleiche Licht zu sehen wie wir anderen. Doch der Tod wurde von den unsterblichen Göttern nicht als Mittel zur Strafe bestimmt, sondern als Erlösung von Mühen und Leid. Wenn wir sie töten, verringern wir ihr Leiden. Ich schlage deshalb ein härteres Schicksal vor: Dass
der Besitz der Gefangenen beschlagnahmt wird und sie selbst, jeder in einer anderen Stadt, für den Rest ihres Lebens eingesperrt werden. Die Verurteilten haben kein Recht auf Berufung, und jeder Versuch von wem auch immer, Berufung einzulegen, wird als Akt des Hochverrats betrachtet. Und, Senatoren«, schloss er, »für den Rest ihres Lebens bedeutet: für den Rest ihres Lebens.«
Ein erstaunlich unverfrorener Auftritt – aber geschickt und wirkungsvoll. Während ich Caesars Antrag niederschrieb und dann Cicero reichte, hörte ich das aufgeregte Flüstern überall im Senat. Die Beunruhigung stand Cicero ins Gesicht geschrieben, als er die Niederschrift entgegennahm. Er ahnte, dass seinem Feind ein raffinierter Zug gelungen war, war sich aber nicht ganz sicher, welche Folgen er haben würde oder wie er darauf reagieren sollte. Er verlas Caesars Antrag und fragte, ob jemand einen Kommentar dazu abgeben wolle, worauf sich kein anderer als der designierte Konsul und Oberhahnrei erhob.
»Caesars Ausführungen haben mich tief bewegt«, erklärte Silanus und rieb sich dabei salbungsvoll die Hände. »So tief bewegt, dass ich nun nicht mehr für meinen eigenen Antrag stimmen werde. Auch ich glaube, dass nicht der Tod, sondern lebenslange Haft die angemessenere Bestrafung ist.«
Gedämpfte Rufe der Überraschung waren zu hören, und es entstand eine knisternde Unruhe, die sich der Senatoren bemächtigte und die ich sofort richtig einordnete: Der Wind drehte sich. Vor die Wahl zwischen Tod und Exil gestellt, favorisierten die meisten Senatoren die Todesstrafe. Wenn jedoch zwischen Tod und Kerker auf Lebenszeit zu entscheiden war, dann hatten sie die Möglichkeit, ihre Entscheidung zu korrigieren. Wer konnte es ihnen verdenken? Das schien die perfekte Lösung zu sein: Die Verschwörer würden auf fürchterliche Weise bestraft, gleichzeitig vermieden die Senatoren den unangenehmen Makel, ihre Hände mit Blut besudelt zu haben. Ängstlich wartete Cicero auf
Befürworter der Todesstrafe, aber nun meldete sich Redner um Redner zu Wort, um die Vorteile dauerhafter Inhaftierung zu betonen. Hortensius und überraschenderweise auch Isauricus unterstützten Caesars Antrag. Metellus Nepos erklärte, dass ein Todesurteil ohne Recht auf Berufung gesetzeswidrig sei, und wiederholte Neros Forderung, dass man Pompeius nach Rom zurückrufen solle. Nach ein oder zwei Stunden, als nur noch vereinzelte Senatoren die Todesstrafe gefordert hatten, verfügte Cicero eine kurze Unterbrechung der Sitzung, um den Senatoren vor der Abstimmung die Möglichkeit zu geben, auszutreten oder eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Er nutzte die Zeit zu einer kurzen Beratung mit Quintus und mir. Es wurde allmählich dunkel, und es gab nichts, was wir dagegen tun konnten – das Entzünden eines Feuers oder jeglicher Art von Lampe war innerhalb der Mauern eines Tempels natürlich verboten. Mir wurde plötzlich klar, dass nur noch wenig Zeit blieb. »Nun«, sagte Cicero mit leiser Stimme und beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn. »Was meint ihr?«
»Caesars Antrag geht durch«, flüsterte Quintus. »Ganz sicher. Sogar die Patrizier wanken schon.«
Cicero stöhnte. »So viel zu ihren Beteuerungen …«
»Das läuft doch alles bestens für Euch«, sagte ich eifrig, weil ich den Kompromiss voll und ganz befürwortete. »Damit seid Ihr fein raus.«
»Der Antrag ist doch kompletter Unfug«, zischte Cicero und warf einen zornigen Blick in Richtung Caesar. »Kein Senat kann ein Gesetz verabschieden, das seine Nachfolger auf Dauer bindet, und das weiß er auch. Was, wenn im nächsten Jahr der Antrag gestellt wird, dass es sich gar nicht um
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