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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Frau des designierten Konsuls Silanus. Sie war keine außergewöhnliche Schönheit: Sie hatte ein ganz ansehnliches Gesicht, das man wohl als eher maskulin bezeichnen könnte, das jedoch scharfe Intelligenz und Charakterstärke ausstrahlte. Es war typisch für sie, dass sie als Einzige der Frauen der höchsten Amtsträger im Staat stehen blieb und Cicero fragte, was seiner Meinung nach der heutige Tag noch bringen werde.
    »Das hat der Senat zu entscheiden«, antwortete er vorsichtig.
    »Und wie wird deiner Meinung nach der Senat entscheiden?«
    »Das liegt in seiner Hand.«
    »Aber du wirst ihm doch die Richtung vorgeben?«
    »Sollte ich das tun, dann werde ich das – du wirst mir verzeihen – nicht hier auf der Straße tun, sondern nachher im Senat.«
    »Du misstraust mir?«
    »Ganz und gar nicht, Servilia. Aber andere könnten wie auch immer von unserer Unterhaltung erfahren.«
    »Wie soll ich denn das verstehen?« Ihre Stimme klang beleidigt, aber in ihren stechenden blauen Augen blitzte ihr boshafter Humor auf.
    »Sie ist die mit Abstand verschlagenste von seinen Frauen« , bemerkte er, nachdem sie sich verabschiedet hatte. »Noch gerissener als seine Mutter, und das will was heißen. Er täte gut daran, wenn er sich die hält.«
    Die Atmosphäre in den Räumen von Ciceros Haus war noch erfüllt von der Anwesenheit der Damen, und die Luft roch nach Parfüm und Weihrauch. Sklavinnen wischten die Böden und räumten die Überreste der Zeremonie weg. Auf dem Altar lag noch ein Haufen Asche. Clodius versuchte seine Neugier erst gar nicht zu verbergen. Er streifte umher, begutachtete Gegenstände und brannte augenscheinlich darauf, alle möglichen Fragen zu stellen, besonders als dann Terentia erschien. Sie trug immer noch die Robe der Hohen Priesterin, aber da selbst diese für jedes männliche Auge tabu war, verbarg sie sie unter einem Umhang, den sie am Hals fest umklammert hielt. Ihr Gesicht war gerötet, und ihre Stimme klang hoch und fremd.
    »Wir haben ein Zeichen empfangen«, verkündete sie. »Vor knapp einer Stunde, von der Bona Dea selbst!« Cicero schaute sie skeptisch an, aber sie war noch so entrückt, dass sie nichts davon bemerkte. »Die vestalischen Jungfrauen haben mir einen außerordentlichen Dispens erteilt, dass ich dich darüber informieren darf, was wir gesehen haben.« Sie deutete mit dramatischer Geste auf den Altar. »Das Feuer dort war ganz heruntergebrannt. Die Asche war schon fast kalt. Doch dann loderte eine helle Flamme auf. Es war das außergewöhnlichste Omen, das ich je gesehen habe.«
    »Und was, glaubst du, hat es zu bedeuten, dieses Omen?«, fragte Cicero, der nun – ungeachtet seiner Bedenken – sehr interessiert war.
    »Es ist ein Zeichen des Wohlwollens, das an einem Tag von großer Bedeutung direkt in dein Heim gesandt wurde, um dir Sicherheit und Ruhm zu verheißen.«
    »Ach ja, tut es das?«
    »Sei mutig«, sagte sie und nahm seine Hand. »Handle unerschrocken. Es wird dir auf ewig zur Ehre gereichen. Kein Leid wird dich heimsuchen. Das ist die Botschaft der Bona Dea.«
    In späteren Jahren habe ich mich oft gefragt, ob das irgendeinen Einfluss auf Ciceros Urteilsbildung hatte. Es stimmt, wiederholt hatte er mir gegenüber Weissagungen und Omen als kindischen Unfug verspottet. Andererseits habe ich festgestellt, dass in höchster Not selbst die größten Zweifler zu jedem Gott im Himmel gebetet haben, wenn sie glaubten, es könnte ihnen vielleicht von Nutzen sein. Natürlich war nicht zu übersehen, dass Cicero sich freute. Er küsste Terentia die Hand und dankte ihr für ihre Frömmigkeit und ihre Sorge um sein Wohlergehen. Dann ging er nach oben, um sich für den Senat vorzubereiten, jedoch nicht ohne vorher Weisung gegeben zu haben, den Menschen vor seinem Haus von dem Omen zu berichten. In der Zwischenzeit hatte Clodius unter einem der Sofas ein Stück weibliche Unterwäsche entdeckt, und ich sah, wie er seine Nase darin vergrub und tief einatmete.

    Auf Befehl des Konsuls wurden die Gefangenen nicht in den Senat gebracht, sondern blieben dort, wo man sie über Nacht eingesperrt hatte. Cicero führte dafür Sicherheitsüberlegungen an, aber meiner Meinung nach war der Grund der, dass er ihren Anblick nicht ertragen konnte. Die Sitzung wurde wieder im Tempel der Concordia abgehalten. Alle führenden Männer der Republik waren anwesend mit Ausnahme von Crassus, der ausrichten ließ, er sei krank. Tatsächlich wollte er der Entscheidung aus dem Weg gehen, für oder

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