02 Titan
Grund wären wir schlecht beraten, das Gesetz erst später zu bemühen – dann werden wir nämlich alle schon abgeschlachtet sein!« Zustimmendes Gemurmel: Ja, er hat Recht. Ich schaute zu Cicero. Auch er nickte. »Zu viele, die hier sitzen«, verkündete Cato mit erhobener Stimme, »machen sich mehr Sorgen um ihre Villen und ihre Statuen als um ihr Land. Um Himmels willen, Männer, wacht auf! Wacht auf, solange noch Zeit ist, packt mit an, helft mit bei der Verteidigung der Republik! Unsere Freiheit und unser Leben stehen auf dem Spiel. In Zeiten wie diesen, wie kann es da jemand wagen, von Nachsicht und Mitgefühl zu reden?«
Er war von seinem Platz heruntergekommen und stand jetzt mitten im Gang, barfuß, und seine scharfe, erbarmungslose Stimme hörte sich an wie ein Messer auf dem Schleifstein. Es war, als wäre sein berühmter Urgroßvater dem Grab entstiegen und schüttelte wutentbrannt die grauen Locken.
»Senatoren, bildet euch doch nicht ein, dass es die Macht der Waffen war, mit der unsere Ahnen einen unbedeutenden Staat in diese große Republik verwandelt haben. Wäre dem so, dann stünde sie nun auf dem Gipfel ihres Ruhms. Wir haben nämlich mehr Untertanen und Bürger, mehr Waffen und Pferde als jemals zuvor. Nein, es war etwas völlig anderes, was unsere Ahnen groß gemacht hat – etwas, was uns gänzlich abhandengekommen ist. Sie waren harte Arbeiter im eigenen Land, gerechte Herrscher im Ausland, und in
den Senat entsandten sie keine Männer, die mit Schuld beladen oder sklavisch ihren Leidenschaften verfallen waren. Das ist es, was wir verloren haben. Wir häufen für uns selbst Reichtümer an, während der Staat bankrott ist, wir leben faul in den Tag hinein, und wenn dann unsere Republik unter Beschuss gerät, ist niemand mehr da, der sie verteidigt.
Bürger aus den ersten Kreisen haben ein Komplott geschmiedet, um ihre Heimatstadt in Brand zu stecken. Gallier, die tödlichsten Feinde alles Römischen, sind zu den Waffen gerufen worden. Die feindliche Armee und ihr Anführer stehen bereit, über uns herzufallen. Und ihr zögert noch und könnt euch immer noch nicht entscheiden, was ihr mit diesen Staatsfeinden, die ihr selbst innerhalb eurer Mauern festgesetzt habt, machen sollt?« Er spuckte seinen Sarkasmus buchstäblich heraus, so dass die ihm am nächsten sitzenden Senatoren in einem Sprühnebel aus Speichel saßen. »Nur zu, habt Mitleid mit ihnen, es sind junge Männer, vom Ehrgeiz in die Irre geführt. Sie sind bewaffnet, was soll’s, lassen wir sie ziehen. Aber bedenkt, was ihr anrichtet mit eurer Nachsicht, mit eurem Mitgefühl. Wenn sie das Schwert zücken, dann ist es zu spät. Sicher, sagt ihr, die Lage ist übel, aber wir haben keine Angst. Unfug! Ihr zittert wie Espenlaub! Aber ihr seid so träge und schwach, dass jeder in seiner Unentschlossenheit darauf wartet, dass schon jemand anders handeln wird – sicher vertraut ihr auf die Götter. Eins kann ich euch sagen: Mit feierlichen Schwüren und weibischem Betteln bekommt ihr keinen göttlichen Beistand. Nur Wachsamkeit und Tatkraft sichern den Erfolg.
Wir sind umzingelt. Catilina und seine Armee stehen bereit, um uns an die Kehle zu gehen. Unsere Feinde leben hier in der Stadt, mitten unter uns. Deshalb müssen wir schnell handeln. Und deshalb, Konsul, stelle ich folgenden Antrag. Und, Schreiber, halte jedes Wort genau fest: Aufgrund der verbrecherischen Pläne niederträchtiger Bürger, die die Republik
in ernste Gefahr gebracht haben, und aufgrund der Tatsache, dass die Beschuldigten, mittels Beweislast und Geständnis, der Planung von Massaker, Brandstiftung und anderer schändlicher Gräueltaten gegen ihre Mitbürger überführt sind: dass sie, da sie ihre verbrecherischen Absichten zugegeben haben, gemäß altem Brauch hingerichtet werden, als wären sie überführt der tatsächlichen Verübung von Kapitalverbrechen.«
Dreißig Jahre lang habe ich Senatsdebatten verfolgt und wurde dabei Zeuge vieler großer und berühmter Reden. Aber nie gab es eine – keine einzige, nicht einmal annähernd –, die eine solche Wirkung entfaltete wie dieser kurze Einwurf Catos. Was schließlich ist große Redekunst anderes als die Destillation von Gefühlen in präzise Worte? Cato sagte, was die Mehrheit der Senatoren fühlte, aber nicht in der Lage war, in Worte zu fassen, nicht einmal vor sich selbst. Er rügte sie, und sie liebten ihn dafür. Überall im Tempel erhoben sich applaudierende Senatoren von ihren Plätzen, gingen
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