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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Nach einer Weile wurde die Stille peinlich, und es war Cicero, der sie beendete, indem er sich räusperte und sich zum Gehen wandte. »Es wird dunkel«, sagte er zu mir. »Wir sollten uns auf den Weg machen.«
    »Jetzt schon? Keine Erfrischung mehr? Na dann, ich begleite dich noch zur Tür.« Caesar war die Leutseligkeit in Person: Seine Manieren waren immer makellos, auch dann, wenn er einen Mann zum Tod verurteilte. »Denk darüber nach«, sagte er, als er uns durch den schäbigen Gang führte. »Denk an deine Amtszeit, wie leicht alles sein wird, wenn du dich uns anschließt. Im nächsten Jahr um diese Zeit ist dein Konsulat vorbei. Du wirst Rom verlassen. Du lebst im Palast eines Statthalters. Du verdienst in Macedonia genug Geld für den Rest deines Lebens. Du kehrst nach Hause zurück. Du kaufst dir ein Haus in der Bucht von Neapel. Du studierst Philosophie. Du schreibst deine Memoiren. Wohingegen …«
    Der Türwächter trat vor, um Cicero mit seinem Umhang
zu helfen, der ihn jedoch zur Seite scheuchte und sich an Caesar wandte. »Wohingegen was? Was, wenn ich mich dir nicht anschließe? Was dann?«
    Caesar machte ein gequält überraschtes Gesicht. »Das alles ist nicht gegen dich persönlich gerichtet. Ich hoffe, du verstehst das. Wir wollen dir keinen Schaden zufügen. Im Gegenteil, du sollst eines wissen: Solltest du jemals in Gefahr geraten, auf meinen Schutz kannst du dich immer verlassen.«
    »Ich kann mich auf deinen Schutz immer verlassen?« Selten habe ich Cicero sprachlos gesehen. Doch an jenem eiskalten Tag, in jenem beengten und abgewohnten Haus, in jenem schäbigen Stadtviertel, sah ich ihn um Worte ringen, die seine Gefühle angemessen hätten wiedergeben können. Er fand sie nicht. Er warf sich den Umhang über die Schultern, trat hinaus in den Schnee und sagte Caesar unter den finsteren Blicken der immer noch auf der Straße herumlungernden Rüpel ein knappes Lebewohl.

    »Ich kann mich auf seinen Schutz immer verlassen?«, sagte Cicero noch einmal, als wir den Hügel wieder hinaufstapften. »Wer ist er, dass er so mit mir reden darf?«
    »Er ist sehr selbstbewusst«, sagte ich vorsichtig.
    »Selbstbewusst? Er behandelt mich wie einen seiner Klienten!«
    Der Tag ging zu Ende und mit ihm das Jahr, schnell verblassend, wie das Nachmittage im Winter so an sich haben. In den Fenstern der Mietshäuser wurden Lampen angezündet. Über uns brüllten sich Menschen an. Dichter Rauch von Straßenfeuern hing in der Luft, Essensgeruch stieg mir in die Nase. An den Straßenecken hatten die Frommen kleine Platten mit Honigkuchen als Neujahrsgabe für die Nachbarschaftsgötter
aufgestellt, denn in jenen Tagen huldigten wir mehr den Geistern der Straßenkreuzung als unserem großen Gott Augustus. Während wir eilig vorwärtshasteten, pickten hungrige Vögel an den Kuchen herum, stiegen flügelschlagend auf, um sich gleich darauf wieder niederzulassen.
    »Soll ich Catulus und den anderen eine Botschaft überbringen?« , fragte ich.
    »Welche Botschaft denn? Dass Caesar mir versprochen hat, Rabirius zu verschonen, wenn ich sie verrate, und dass ich seinen Vorschlag erst mal überdenken muss?« Der Ärger schien seinen Beinen Kraft zu verleihen, denn er legte ein derart strammes Tempo vor, dass ich ins Schwitzen geriet. »Mir ist aufgefallen, dass du keine Notizen gemacht hast.«
    »Das kam mir unpassend vor.«
    »Du musst immer mitschreiben. Von jetzt an wird jedes Wort notiert.«
    »Ja, Senator.«
    »Wir steuern gefährliche Gewässer an, Tiro. Jedes Riff und jede Strömung muss verzeichnet werden.«
    »Ja, Senator.«
    »Bekommst du das Gespräch noch zusammen?«
    »Glaube schon. Das meiste sicher.«
    »Gut. Wenn wir zu Hause sind, fängst du sofort mit der Niederschrift an. Ich will immer eine Aufzeichnung davon bei mir haben. Aber zu keinem ein Wort – vor allem nicht zu Postumia.«
    »Glaubt Ihr denn, dass sie trotzdem heute Abend zum Essen kommt?«
    »Sicher wird sie kommen. Und sei es nur, um ihrem Liebhaber davon berichten zu können. Sie kennt keine Scham. Armer Servius. Er ist so stolz auf sie.«
    Als wir zu Hause waren, ging Cicero nach oben, um sich umzuziehen, und ich begab mich in mein kleines Zimmer,
um aus dem Gedächtnis die Unterhaltung niederzuschreiben. Während ich jetzt diese Memoiren verfasse, habe ich jene Rolle vor mir liegen: Cicero hatte sie zusammen mit seinen geheimen Aufzeichnungen aufbewahrt. So wie ich im Lauf der Jahre gebrechlich geworden bin, so ist auch sie jetzt brüchig

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