02 Titan
umso bemerkenswerter erschien, als ihr nur selten ein Lächeln zu entlocken war. Sie glich einer dürren Winterpflanze, die plötzlich unter den warmen Sonnenstrahlen von Ciceros Erfolg erblühte – und zwar derart, dass sie tatsächlich ihre lebenslange Sparsamkeit abgelegt hatte und sich nun kleidete, wie es der Frau eines Konsuls und zukünftigen Statthalters von Macedonia zukam. Sie trug eine neue, mit Perlen bestickte Tunika, und andere gerade erst gekaufte Edelsteine glitzerten überall an ihrem Körper: an ihrem schmalen Hals und kleinen Busen, an ihren Handgelenken und Fingern, sogar in ihren kurzen dunklen Locken. Die Gäste verließen das Speisezimmer, die Frauen wandten sich dem Tablinum zu, die Männer gingen ins Arbeitszimmer. Cicero bedeutete mir, die Tür zu schließen. Im nächsten Augenblick war die Heiterkeit aus seinem Gesichtsausdruck verschwunden.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Ciceros Bruder Quintus, der sein Weinglas mitgenommen hatte. »Du machst ein Gesicht, als hättest du eine schlechte Auster gegessen.«
»Es ist mir zuwider, euch den angenehmen Abend zu verderben. Aber es gibt ein Problem.«
Grimmig zog Cicero die Klageschrift gegen Rabirius hervor und berichtete dann kurz vom Besuch der Senatoren am Nachmittag und von seinem eigenen bei Caesar. »Lies vor, was der Gauner gesagt hat, Tiro.«
Ich tat wie befohlen, und als ich zum Ende kam – Caesars Schutzangebot –, schauten sich alle vier an.
»Tja«, sagte Atticus. »Wenn du Catulus und seine Freunde fallenlässt, nach all den Versprechungen, die du ihnen vor der Wahl gemacht hast, dann könntest du seinen Schutz vielleicht gebrauchen. Das werden sie dir nie verzeihen.«
»Wenn ich aber mein Wort halte und das Gesetz der Popularen bekämpfe, dann wird Caesar Rabirius schuldigsprechen, und dann bin ich verpflichtet, auf dem Marsfeld Rabirius’ Verteidigung zu übernehmen.«
»Und das darfst du auf keinen Fall«, sagte Quintus. »Caesar hat ganz Recht. Du verlierst sicher. Du musst seine Verteidigung um jeden Preis allein Hortensius überlassen.«
»Das ist völlig unmöglich. Ich kann als Vorsitzender des Senats kaum neutral bleiben, wenn einem Senator die Kreuzigung droht. Wie würde ich als Konsul dann dastehen?«
»Lebend. Sonst bist du nämlich tot«, sagte Quintus. »Wenn du dich auf die Seite der Patrizier schlägst, glaub mir, dann wird es wirklich gefährlich. Fast jeder wird gegen dich sein. Selbst der Senat wird sich nicht einig sein – dafür sorgt schon Hybrida. Auf den Bänken des Senats sitzen jede Menge Leute, die nur auf die Gelegenheit warten, dich in die Knie zu zwingen. Catilina zum Beispiel, der vor allen anderen.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Rufus. »Warum schmuggeln wir Rabirius nicht aus der Stadt und verstecken ihn irgendwo auf dem Land, bis sich der Sturm wieder gelegt hat?«
»Tja, was würde dann passieren?« Cicero dachte über den
Vorschlag nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein. Ich bewundere deinen Mut, Rufus, aber das würde nicht funktionieren. Wenn wir Caesar Rabirius wegnehmen, dann bringt er es fertig und schustert eine ähnliche Anklage gegen Catulus oder Isauricus zusammen. Könnt ihr euch vorstellen, was das für Konsequenzen hätte?«
Servius studierte inzwischen eingehend die Klageschrift. Wegen seiner schlechten Augen hielt er das Dokument so nah neben den Armleuchter, dass ich fürchtete, es würde jeden Augenblick Feuer fangen. »Perduellio«, brummte er. »Merkwürdiger Zufall. Ich hatte vor, noch in diesem Monat dem Senat vorzuschlagen, den Straftatbestand perduellio abzuschaffen. Ich hatte sogar schon alle Präzedenzfälle durchgesehen. Sie liegen bei mir zu Hause auf meinem Schreibpult.«
»Vielleicht ist Caesar deshalb auf die Idee gekommen«, sagte Quintus. »Hast du die Sache ihm gegenüber erwähnt?«
Servius steckte immer noch seine Nase in das Schriftstück. »Natürlich nicht. Ich spreche nie mit ihm. Der Bursche ist ein ausgemachter Halunke.« Als er aufschaute, blickte er Cicero mitten ins Gesicht. »Was ist?«
»Ich glaube, ich weiß, wie Caesar davon erfahren haben könnte.«
»Und?«
Cicero zögerte. »Deine Frau war bei Caesar, als ich ihn heute Nachmittag besucht habe.«
»Mach dich nicht lächerlich. Was sollte Postumia bei Caesar wollen? Sie kennt ihn ja kaum. Sie war den ganzen Tag mit ihrer Schwester zusammen.«
»Ich habe sie gesehen. Tiro auch.«
»Na gut, vielleicht hast du sie gesehen«, sagte Servius. »Ich bin mir sicher,
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