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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Eindringling die Treppe hinunter ins Speisezimmer, wo er über ein Sofa fiel und die Frauen ihm den Schleier vom Gesicht rissen. Fast alle erkannten ihn. Er hatte sich den kleinen Bart abrasiert, die Wangen mit
Rouge, die Augen schwarz geschminkt und die Lippen angemalt, aber auch das hatte nicht ausgereicht, um die wohlbekannten Züge unseres Schönlings Publius Clodius Pulcher zu verbergen – »dein Freund Clodius«, wie Terentia ihn mit bitterer Stimme nannte, als sie Cicero die Geschichte erzählte.
    Der unverkennbar betrunkene Clodius begriff, dass er enttarnt war, sprang auf den Esstisch, hob sein Kleid hoch und entblößte sich vor versammelter Gesellschaft, einschließlich der vestalischen Jungfrauen, sprang dann, während sein kreischendes Publikum der Ohnmacht nahe war, wieder vom Tisch herunter, rannte aus dem Speisezimmer und flüchtete durch ein Küchenfenster. Erst jetzt erschien Pompeia in Begleitung Abras wieder auf der Bildfläche, worauf Aurelia ihre Schwiegertochter und deren Mädchen der Komplizenschaft an diesem Sakrileg bezichtigte. Beide leugneten unter Tränen, aber die Hohe Priesterin der vestalischen Jungfrauen verkündete, ihr Leugnen ändere nichts an der Lage: Der Tatbestand der Entweihung sei erfüllt, die heiligen Kulthandlungen müssten abgebrochen werden und alle Jüngerinnen sich sofort nach Hause begeben.
    Das war Terentias Geschichte, und Cicero hörte sie sich mit einer Mischung aus Unglauben, Abscheu und unter größten Mühen bezähmter Erheiterung an. Es war klar, dass er in der Öffentlichkeit und gegenüber Terentia eine harte moralische Linie vertreten müsste – in der Tat schockierend, da sei er absolut ihrer Meinung –, aber insgeheim hielt er die Geschichte für eine der lustigsten, die er je gehört hatte. Vor allem bei der Vorstellung, wie Clodius vor den Augen der spießigsten Matronen Roms seine Geschlechtsteile hin und her gewedelt hatte, trieb es ihm vor Lachen das Wasser in die Augen. Aber das blieb der Intimität seiner Bibliothek vorbehalten. Was den politischen Aspekt anging, so dachte er, dass Clodius sich mit dieser Episode endgültig als unverbesserlicher
Idiot erwiesen hatte – »bei allen Göttern, er ist dreißig, keine dreizehn« – und dass seine öffentliche Karriere damit beendet war, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte. Außerdem ging er voller Schadenfreude davon aus, dass die Geschichte auch Caesar in Schwierigkeiten stürzen könnte: Der Skandal hatte in seinem Haus stattgefunden, seine Frau war darin verwickelt gewesen; das würde keinen guten Eindruck machen.
    In dieser Gemütsverfassung ging Cicero am nächsten Morgen, auf den Tag genau ein Jahr nach der Debatte, die über das Schicksal der Verschwörer entschieden hatte, hinunter zum Senat. Viele der bedeutenden Senatoren waren schon von ihren Frauen informiert worden, und während sie im Senaculum darauf warteten, dass die Auspizien gedeutet wurden, gab es nur ein einziges Gesprächsthema – zumindest gab es kein anderes mehr, nachdem Cicero seine Runden gedreht hatte. Der Vater des Vaterlandes ging von Gruppe zu Gruppe – weihevoll, mit einem Gesichtsausdruck von Frömmigkeit und ernster Feierlichkeit, die Arme unter der Toga verschränkt, immer wieder den Kopf schüttelnd – und setzte scheinbar widerstrebend die noch Unwissenden über den Skandal in Kenntnis. Abschließend bemerkte er immer, wobei er den Blick durch das Senaculum schweifen ließ: »Wie wird sich nur der arme Caesar fühlen, das alles ist ihm sicher furchtbar peinlich.«
    Und tatsächlich sah Caesar, der junge Hohe Priester, grau und trostlos aus, wie er da an diesem trüben Dezembertag auf dem absoluten Tiefpunkt seiner Karriere allein im Senaculum stand. Sein sich dem Ende zuneigendes Prätoriat war kein erfolgreiches gewesen: Er war sogar einmal suspendiert worden und konnte von Glück sagen, dass man ihn nicht zusammen mit Catilinas anderen Anhängern vor Gericht gezerrt hatte. Unruhig wartete er darauf, welche Provinz man ihm zulosen würde: Er war auf eine lukrative angewiesen,
weil er bei den Geldverleihern tief in der Kreide stand. Und jetzt drohte auch noch dieser absurde Zwischenfall mit Clodius und Pompeia ihn zum Gespött der Leute zu machen. Mit seinen Falkenaugen beobachtete er Cicero, der im Senaculum umherschritt und die pikante Geschichte verbreitete. Er konnte einem fast leidtun. Roms Meister im Hörnen aller Ehemänner: ein Gehörnter! Ein geringerer Mann als Caesar hätte sich an

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