02 Titan
Landgasthöfen, als wäre er nichts weiter als ein gewöhnlicher Reisender, der von einem Auslandsurlaub heimkehrte. In jeder Stadt auf seinem Weg – ob in Tarentum oder Venusia, ob jenseits der Berge in den Ebenen Campanias, ob in Capua oder Minturnae –, überall strömten die Menschen herbei und jubelten ihm zu. Hunderte verließen ihre Häuser und schlossen sich ihm an, und schon bald trafen Berichte im Senat ein, dass sage und schreibe fünftausend Bürger mit Pompeius nach Rom marschierten.
Cicero nahm all das mit wachsender Besorgnis auf. Sein langer Brief an Pompeius war immer noch ohne Antwort, und sogar ihm dämmerte allmählich, dass er sich mit der Prahlerei über sein Konsulat geschadet haben könnte. Schlimmer, aus verschiedenen Quellen erfuhr er, dass Pompeius keinen guten Eindruck von Hybrida bekommen hatte, als er auf dem Weg nach Italien durch dessen Provinz Macedonia gereist war und die Korruption und Inkompetenz dort mit eigenen Augen gesehen hatte, und dass er nach seiner Ankunft in Rom auf die sofortige Abberufung des Statthalters drängen werde. Ein solcher Schritt konnte Cicero finanziell ruinieren, zumal er noch nicht einen einzigen Sesterz von Hybrida bekommen hatte. Er rief mich in die Bibliothek und diktierte mir einen langen Brief an Hybrida: »Ich werde alles mir Mögliche tun, um dir den Rücken freizuhalten, vorausgesetzt, ich habe nicht das Gefühl, meine Mühe zu vergeuden. Sollte mir das jedoch nicht gedankt werden, dann werde ich mich
nicht für dumm verkaufen lassen – nicht einmal von dir.« Wenige Tage nach den Saturnalien fand ein Abschiedsessen für Atticus statt, nach dem Cicero seinem Freund den Brief gab und ihn bat, diesen Hybrida persönlich auszuhändigen. Atticus schwor, dass er dies als Erstes nach seiner Ankunft in Macedonia tun werde, und danach sagten sich die beiden Freunde unter vielen Tränen und Umarmungen Lebewohl. Es erfüllte die beiden Männer mit großer Trauer, dass Quintus es nicht für nötig befunden hatte, sich von ihm zu verabschieden.
Nach Atticus’ Abreise schienen Cicero die Sorgen von allen Seiten zu bedrängen. Er war äußerst beunruhigt über den sich verschlechternden Gesundheitszustand seines Hilfssekretärs Sositheus. Noch bekümmerter war aber ich, da ich selbst den jungen Burschen in lateinischer Grammatik, in Griechisch und in Kurzschrift ausgebildet hatte. Er war zu einem allseits beliebten Mitglied des Haushalts geworden. Er hatte eine melodische Stimme, was auch der Grund dafür war, dass Cicero sich ihn als Vorleser ausgesucht hatte. Er war etwa sechsundzwanzig Jahre alt und bewohnte im Keller ein kleines Zimmer direkt neben meinem. Aus trockenem, stoßweisem Husten war Fieber geworden, so dass Cicero seinen Arzt hatte rufen lassen, der Sositheus untersuchte. Weder Aderlass noch Blutegel hatten Besserung gebracht. Cicero war sehr betroffen, und fast jeden Tag ging er hinunter in den Keller, setzte sich eine Zeit lang auf die Pritsche des jungen Mannes und betupfte dessen heiße Stirn mit einem kalten nassen Handtuch. Eine Woche lang wachte ich jede Nacht an Sositheus’ Bett und hörte mir sein sinnloses Gestammel an, versuchte ihn zu beruhigen und gab ihm zu trinken.
Bei diesen grauenvollen Fiebererkrankungen kommt es oft vor, dass der letzten Krisis ein schneller Fieberabfall vorausgeht. So war es auch bei Sositheus. Ich erinnere mich
noch gut daran. Es war weit nach Mitternacht, ich lag auf einer Strohmatte neben seiner Pritsche und hatte mich gegen die Kälte in eine Decke und ein Schaffell gewickelt. Im trüben gelben Licht der Lampe lag er ruhig da, und in der Stille war ich wohl eingenickt. Dann weckte mich ein Geräusch auf, und als ich mich umdrehte, sah ich Sositheus aufrecht auf seiner Pritsche sitzen. Er schaute mich mit entsetzten Augen an.
»Die Briefe«, sagte er.
Ständig machte er sich Sorgen wegen seiner Arbeit. Das war so bezeichnend für ihn, dass ich fast zu weinen anfing. »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Die Briefe sind alle auf dem letzten Stand. Schlaf weiter.«
»Ich habe von den Briefen eine Abschrift gemacht.«
»Schon gut, du hast alle Briefe abgeschrieben, ich weiß. Schlaf jetzt weiter.« Ich versuchte ihn sanft wieder auf sein Lager zu drücken, aber er sträubte sich. Er war schweißnass, nichts als Haut und Knochen, so schwach wie ein Spatz. Trotzdem gab er keine Ruhe. Er wollte mir unbedingt irgendetwas erzählen.
»Crassus weiß Bescheid.«
»Sicher, Crassus weiß Bescheid«,
Weitere Kostenlose Bücher