02 Titan
geschäftlichen Angelegenheiten kümmerst. Deine Geschäfte florieren durch deine Verbindung
zu uns, nur dass anscheinend wir dauernd in Geldschwierigkeiten stecken. Das ist alles.«
»Aber ihr genießt die Früchte einer Karriere im öffentlichen Leben. Ihr habt Ruhm und Macht und geht in die Geschichtsbücher ein. Ich bleibe immer ein Niemand.«
»Ein Niemand! Ein Niemand, der jeden kennt!« Quintus trank wieder einen Schluck. »Du siehst wohl keine Möglichkeit, dass du deine Schwester nach Epirus mitnimmst?«
»Quintus!«, schrie Cicero.
»Wenn deine Ehe nicht glücklich ist«, sagte Atticus milde, »dann tut mir das leid für dich. Aber das ist ja wohl kaum meine Schuld.«
»Na also, da sind wir schon wieder beim Thema«, sagte Quintus. »Du hast es sogar geschafft, dich vor der Ehe zu drücken. Unser Freund hier kennt wahrlich das Geheimnis des Lebens. Warum nimmst du nicht auch deinen Teil an häuslichen Leiden auf dich, so wie wir alle?«
»Jetzt reicht es«, sagte Cicero und stand auf. »Ich glaube, wir gehen jetzt, Atticus, bevor noch mehr dahergeredet wird, was gar nicht so gemeint ist. Quintus?« Er hielt Quintus die Hand hin, der Cicero böse anschaute und dann den Kopf abwandte. »Quintus!«, wiederholte er heftig und streckte wieder die Hand aus. Quintus drehte sich widerwillig um und schaute seinem älteren Bruder ins Gesicht. Für einen kurzen Moment sah ich einen solchen Hass in seinen Augen aufblitzen, dass mir der Atem stockte. Doch dann warf er seine Serviette auf den Tisch und stand auf. Er schwankte ein bisschen und wäre fast auf den Tisch gekippt, wenn ich ihn nicht am Arm festgehalten hätte. Er schlurfte aus der Bibliothek ins Atrium, und wir schlossen uns an.
Cicero hatte eine Sänfte bestellt, die eigentlich uns hätte nach Hause bringen sollen, aber jetzt bestand er darauf, dass Quintus sie nahm. »Du nimmst die Sänfte, Quintus, wir gehen zu Fuß.« Wir halfen ihm hinein, und Cicero sagte den
Trägern, dass sie ihn zu unserem alten Haus neben dem Tempel der Tellus auf dem Esquilin bringen sollten, in das Quintus nach Ciceros Umzug eingezogen war. Noch bevor die Sänfte sich in Bewegung setzte, war Quintus eingeschlafen. Während wir ihm hinterherschauten, kam mir der Gedanke, dass es kein leichtes Los war, der jüngere Bruder eines Genies zu sein, und dass alle Entscheidungen bezüglich Quintus’ Leben – ob sie seine Karriere, sein Haus, ja sogar seine Frau betrafen – auf die Bedürfnisse seines brillanten, ehrgeizigen Bruders abgestimmt gewesen waren, der ihn jederzeit zu allem überreden konnte.
»Er hat es nicht böse gemeint«, sagte Cicero zu Atticus. »Er macht sich Sorgen um seine Zukunft, das ist alles. Wenn der Senat erst mal darüber entschieden hat, welche Provinzen in diesem Jahr zur Verlosung kommen, und wenn er weiß, wohin es ihn verschlägt, kommt er schon wieder auf die Beine.«
»Ich bin mir sicher, du hast Recht. Allerdings fürchte ich, dass er einige Dinge, die er gerade gesagt hat, durchaus ernst gemeint hat. Ich hoffe, dass er nicht auch für dich gesprochen hat.«
»Mein teuerster Freund, mir ist vollauf bewusst, dass unsere Beziehung dir bei weitem mehr abverlangt hat, als du jemals daraus Nutzen gezogen hast. Wir haben einfach verschiedene Wege eingeschlagen, das ist alles. Ich habe das öffentliche Amt angestrebt, du die ehrenvolle Unabhängigkeit, und wer will schon sagen, welche Entscheidung die richtige gewesen ist? Aber was alle Eigenschaften angeht, die wirklich von Bedeutung sind, schätze ich dich höher als jeden anderen Menschen, mich eingeschlossen. Also, sind wir uns einig?«
»Ja.«
»Und du besuchst mich noch vor deiner Abreise, und du schreibst mir, so oft es geht?«
»Versprochen.«
Dann küsste Cicero ihn auf die Wange, und die beiden Freunde gingen auseinander. Atticus zog sich in sein prachtvolles Haus mit all seinen Büchern und Kunstschätzen zurück, der ehemalige Konsul ging mit seinen Leibwächtern und mir den Hügel hinunter zum Forum. Was die in meinem Fall natürlich rein theoretische Frage nach dem guten Leben anging und wie es zu führen sei, lagen meine Sympathien voll und ganz bei Atticus. Damals erschien es mir – und tut es noch, heute mehr denn je – völlig aberwitzig, dass ein Mann nach der Macht strebte, wenn er doch genauso gut einfach in der Sonne sitzen und ein Buch lesen konnte. Andererseits hätte ich auch dann nicht, wenn ich als freier Mann geboren wäre, die anmaßende Kraft des Ehrgeizes
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