02 Titan
besessen, ohne die keine Stadt gegründet und keine Stadt zerstört werden kann.
Wie es der Zufall wollte, führte uns der Weg nach Hause an allen Stätten von Ciceros Triumphen vorbei, und er wurde sehr still. Zweifellos ging ihm die Unterhaltung mit Atticus durch den Kopf. Wir kamen am verschlossenen und leeren Senat vorbei, wo er so viele denkwürdige Reden gehalten hatte; an der geschwungenen Mauer der von zahlreichen Heldenstatuen überragten Rostra, wo er vor Tausenden von römischen Bürgern gesprochen hatte; und schließlich am Tempel des Castor, wo er während der langen juristischen Schlacht gegen Verres dem Gerichtshof für Erpressungen den Fall präsentiert hatte, der seine Karriere begründete. Die großen öffentlichen Gebäude und die Statuen, die still und gewaltig in der Dunkelheit aufragten, erschienen mir an jenem Abend so greifbar wie Luft. Wir hörten weit entfernte Stimmen und gelegentlich raschelnde Geräusche, die ganz nah waren, aber das waren nur Ratten in Müllhaufen.
Als wir das Forum verließen, leuchteten vor uns die Myriaden
von Lichtern auf dem Palatin, die die Form des Hügels nachzeichneten – die gelb lodernden Fackeln und Kohlenpfannen auf den Terrassen, die schummerigen Nadelstiche der Kerzen, die Lampen in den Fenstern zwischen den Bäumen. Plötzlich blieb Cicero stehen. »Ist das nicht unser Haus?«, fragte er und zeigte auf eine Ansammlung von Lichtpunkten. Ich schaute in die Richtung, in die er mit ausgestrecktem Arm deutete, und sagte, ja, glaube schon. »Komisch«, sagte er. »In allen Räumen brennt Licht. Sieht aus, als wäre Terentia zu Hause.«
Wir gingen jetzt schneller den Hügel hinauf. »Wenn Terentia die Zeremonie früher verlassen hat, dann sicher nicht aus freien Stücken«, sagte er außer Atem über die Schulter zu mir. »Da muss etwas passiert sein.« Er rannte jetzt fast auf das Haus zu und hämmerte gegen die Tür. Im Atrium stand Terentia, umringt von Dienstmädchen und anderen Frauen, die wie Vögel zu zwitschern anfingen und auseinanderstoben, als sie Cicero zu Gesicht bekamen. Seine Frau trug wieder einen Umhang, den sie am Hals fest umklammert hielt, um ihre geweihte Robe zu verhüllen. »Terentia!«, sagte er und eilte auf sie zu. »Was ist passiert? Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht es gut«, sagte sie mit vor Zorn kalter und zitternder Stimme. »Aber Rom, das ist krank.«
Dass eine derartige Posse so viel Schaden anrichten konnte, wird zukünftigen Generationen zweifellos absurd vorkommen. Tatsächlich kam sie damals auch uns des Öfteren absurd vor: wie das bei Ausbrüchen öffentlicher Moral üblicherweise der Fall ist. Doch das Leben ist bizarr und nicht vorhersehbar. Irgendein Witzbold schlägt ein Ei auf, und eine Tragödie schlüpft aus.
Die wesentlichen Fakten waren einfach. Terentia erzählte sie an jenem Abend Cicero, und die Geschichte ist nie ernsthaft bestritten worden. Als sie in Caesars Haus eintraf, wurde sie von Pompeias Dienerin Abra eingelassen – einem Mädchen von bekanntermaßen oberflächlicher Tugendhaftigkeit und somit dem Charakter ihrer Herrin wie auch ihres Herrn, obwohl dieser an jenem Abend natürlich nicht anwesend war, durchaus ähnlich. Abra geleitete Terentia in den Hauptteil des Hauses, wo Pompeia, die Gastgeberin für den Abend, und die vestalischen Jungfrauen sie schon erwarteten. Binnen einer Stunde hatten sich die meisten der angesehensten Frauen Roms versammelt, und die Zeremonie begann. Worin genau diese bestand, erzählte Terentia natürlich nicht, nur dass fast das ganze Haus verdunkelt dalag, als sie plötzlich Schreie hörten. Die Ursache war schnell gefunden: Eine von Aurelias Freigelassenen hatte einen hysterischen Anfall bekommen, nachdem sie, wie sie schluchzend erzählte, einen Einbrecher im Haus entdeckt habe. Sie hatte einen der vermeintlich weiblichen Musiker angesprochen und sofort bemerkt, dass das Mädchen ein Mann in Frauenkleidern war. Zu diesem Zeitpunkt fiel Terentia auf, dass Pompeia verschwunden war.
Aurelia übernahm sofort das Kommando und gab Anweisung, alle heiligen Gegenstände zu bedecken sowie alle Türen zu verschließen und im Auge zu behalten. Dann begannen sie und einige der mutigeren Frauen, darunter auch Terentia, das riesige Haus gründlich zu durchsuchen. In Pompeias Schlafzimmer fanden sie denn auch eine verschleierte Gestalt in Frauenkleidern, die eine Leier umklammerte und sich hinter einem Vorhang zu verstecken suchte. Die Frauen scheuchten den
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