02 Titan
in der Hoffnung auf eine Unterredung mit Cicero immer wieder vorgesprochen. Da ich aber strikte Anweisung hatte, ihn nicht
vorzulassen, war er zu seinem großen Ärger nie weiter als bis ins Atrium vorgedrungen. Als ich also jetzt durch die Vorhalle zur Tür ging, machte ich mich schon auf eine weitere unangenehme Szene gefasst. Zu meiner Überraschung stand aber Clodia vor der Tür. Normalerweise ging sie nur mit einem Hofstaat aus Dienerinnen aus dem Haus, an diesem Abend jedoch war sie ohne jede Begleitung. Sie fragte mit sehr kühler Stimme, ob mein Herr zu Hause sei, worauf ich antwortete, dass ich erst nachschauen müsse. Ich bat sie in die Halle und rannte dann fast in die Bibliothek, wo Cicero in seine Arbeit vertieft war. Als ich ihm sagte, wer draußen auf ihn wartete, legte er seinen Griffel weg und dachte kurz nach.
»Ist Terentia schon oben in ihrem Zimmer?«
»Ich glaube, ja.«
»Dann bitte sie herein.« Ich wunderte mich, dass er ein so großes Risiko einging, was ihm wohl auch selbst klar war, denn gerade, als ich wieder gehen wollte, sagte er noch: »Komm mit rein, und lass uns auf keinen Fall allein.«
Ich ging und holte sie. Als sie die Bibliothek betrat, durchquerte sie sofort den Raum und ließ sich vor Cicero auf die Knie fallen. »Ich bin hier, um dich um Hilfe zu bitten«, sagte sie mit gesenktem Kopf. »Mein armer Bruder ist außer sich vor Angst und Reue, aber er ist zu stolz, dich ein weiteres Mal um deine Hilfe zu bitten. Deshalb komme ich allein.« Sie nahm den Saum seiner Toga und küsste ihn. »Mein teurer Freund, es kostet einen Claudier viel Überwindung, vor jemandem in die Knie zu gehen, aber ich bitte dich inständig um deine Hilfe.«
»Steh auf, Clodia«, sagte Cicero und warf einen nervösen Blick zur Tür. »Wenn dich jemand so sieht, weiß das morgen ganz Rom.« Als sie nicht reagierte, sagte er mit sanfterer Stimme: »Wenn du nicht sofort aufstehst, dann werde ich nicht mal mit dir reden.« Clodia erhob sich, hielt aber weiter
den Kopf gesenkt. »Jetzt hör mir zu«, sagte Cicero. »Ich sage dir das nur ein Mal, und dann musst du sofort gehen. Du willst also, dass ich deinem Bruder helfe?« Clodia nickte. »Dann richte ihm aus, dass er genau das tun muss, was ich ihm sage. Er muss an jede einzelne der Frauen, deren Ehre er befleckt hat, einen Brief schreiben. Er muss ihnen darin erklären, dass es ihm leidtue, dass es sich um einen einmaligen Fall von geistiger Umnachtung gehandelt habe, dass er es nicht wert sei, die gleiche Luft wie sie und ihre Töchter zu atmen und so weiter und so weiter – glaube mir, er kann gar nicht unterwürfig genug sein. Dann muss er von seinem Amt als Quästor zurücktreten. Er muss Rom verlassen, ins Exil gehen, sich ein paar Jahre von der Stadt fernhalten. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist, kann er zurückkommen und wieder von vorn anfangen. Das ist der beste Rat, den ich ihm geben kann. Auf Wiedersehen.«
Er wollte sich von ihr abwenden, aber sie hielt ihn am Arm fest.
»Wenn er Rom verlassen muss, dann stirbt er.«
»Nein, Verehrteste, wenn er in Rom bleibt, dann stirbt er. Es wird einen Prozess geben, und er wird schuldiggesprochen werden. Dafür wird Lucullus schon sorgen. Aber Lucullus ist alt und träge, dein Bruder ist jung und kräftig. Die Zeit ist sein größter Verbündeter. Richte ihm das aus und auch, dass ich ihm alles Gute wünsche. Und sage ihm, dass er morgen gehen soll.«
»Wenn er in Rom bleibt, wirst du dich dann auch an den Angriffen auf ihn beteiligen?«
»Ich werde mein Bestes tun, mich aus der Sache herauszuhalten.«
»Und wenn es zum Prozess kommt«, sagte sie und umklammerte seinen Arm fester, »wirst du dann seine Verteidigung übernehmen?«
»Nein, das ist völlig ausgeschlossen.«
»Warum?«
»Warum?« Cicero lachte ungläubig. »Da gibt es tausend Gründe.«
»Weil du glaubst, dass er schuldig ist?«
»Meine teure Clodia, alle Welt weiß, dass er schuldig ist.«
»Du hast Cornelius Sulla verteidigt, und auch da hat alle Welt gewusst, dass er schuldig ist.«
»Die Bona-Dea-Geschichte ist etwas anderes.«
»Warum?«
»Meine Frau«, sagte Cicero leise und schaute wieder zur Tür, »meine Frau war dabei. Sie war Zeugin des Skandals.«
»Willst du damit sagen, dass deine Frau sich scheiden lässt, wenn du meinen Bruder verteidigst?«
»Ja, ich glaube, das würde sie tun.«
»Dann nimm dir eine andere Frau«, sagte Clodia, trat, ohne den Blick von ihm abzuwenden, einen Schritt zurück,
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