02 Titan
die Verhandlung vertagt worden war, stattete Hortensius mit allen drei Vertretern der Anklage Cicero einen Besuch ab. In dem Augenblick, als ich sie sah, wusste ich, was sie wollten, und im Stillen verfluchte ich Hortensius dafür, dass er Cicero in eine solche Lage brachte. Ich führte sie in den Garten, wo er und Terentia dem kleinen Marcus beim Ballspielen zusahen. Es war ein perfekter Spätnachmittag im Frühsommer. Die Luft duftete nach Blumen, und die vom Forum heraufdringenden Geräusche waren so einschläfernd und undeutlich wie das Brummen von Insekten auf einer Wiese.
»Wir brauchen deine Aussage«, erklärte Crus, der führende Vertreter der Anklage.
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte Cicero und warf Hortensius einen ärgerlichen Blick zu. »Und ihr könnt euch denken, wie meine Antwort lautet. Es muss doch noch hundert andere geben, die Clodius an diesem Tag in Rom gesehen haben.«
»Keinen, von dem wir wüssten«, widersprach Crus. »Zumindest keinen, der zu einer Aussage bereit wäre.«
»Clodius hat sie alle eingeschüchtert«, sagte Hortensius.
»Und außerdem verfügt keiner von denen über deine Autorität«, setzte Marcellinus hinzu, der seit den Tagen des Verres-Prozesses ein Anhänger von Cicero war. »Wenn du uns morgen den Gefallen erweist, zu bestätigen, dass Clodius dich besucht hat, dann haben die Geschworenen keine andere Wahl, als ihn zu verurteilen. Dieses Alibi ist das Einzige, was ihn noch vor dem Exil bewahren kann.«
Cicero schaute sie ungläubig an. »Einen Moment, wollt ihr damit andeuten, dass er ohne meine Aussage das Gericht als freier Mann verlässt?« Sie senkten den Kopf. »Wie konnte das passieren? Niemals hat ein Mann vor Gericht gestanden,
der schuldiger war als Clodius.« Er ging auf Hortensius los. »Ein Freispruch, hast du gesagt, ist ›gänzlich ausgeschlossen; so viel Vertrauen in den gesunden Menschenverstand im römischen Volk können wir schon haben‹ – waren das nicht deine Worte?«
»Er ist inzwischen ziemlich beliebt. Und diejenigen, die den Mann eigentlich nicht mögen, die fürchten zumindest seine Anhänger.«
»Außerdem war Lucullus’ Auftritt nicht gerade von Vorteil« , sagte Crus. »Nach seinen Geschichten über Bettlaken und heimliche Horchposten hinter Vorhängen sind wir doch nur noch Witzfiguren. Sogar ein paar Geschworene sagen, dass Clodius auch nicht perverser ist als die Männer, die ihn anklagen.«
»Dann soll ich also retten, was ihr verbockt habt?« Cicero hob wütend die Hände.
Terentia hatte mit Marcus auf dem Schoß die ganze Zeit danebengesessen. Plötzlich stellte sie ihn auf den Boden und sagte ihm, er solle ins Haus gehen. Dann wandte sie sich an ihren Mann. »Auch wenn es dir nicht gefällt, du musst es tun – wenn nicht für die Republik, dann für dich selbst.«
»Ich habe es schon oft genug gesagt: Ich will damit nichts zu tun haben.«
»Niemand profitiert mehr davon als du, wenn Clodius ins Exil geht. Er ist inzwischen dein schärfster Feind.«
»Das stimmt. Und ob das stimmt! Und wessen Schuld ist das?«
»Deine! Weil du nämlich seine Karriere überhaupt erst in Gang gebracht hast.«
Unter den erstaunten Augen der Senatoren stritten sie noch eine Zeit lang so weiter. Es war in Rom allgemein bekannt, dass Terentia nicht die normale demütige, gehorsame Ehefrau war, und diese Szene würde sicher die Runde machen. Obwohl Cicero sich bestimmt darüber ärgerte, dass sie
ihm in Anwesenheit seiner Kollegen widersprach, so wusste ich auch, dass er ihr am Ende würde zustimmen müssen. Der Grund für seinen Zorn war die Erkenntnis, dass er keine Wahl hatte: Er saß in der Falle. »Also gut«, sagte er schließlich. »Ich erfülle meine Pflicht gegenüber Rom. Wie immer. Auch wenn es auf Kosten meiner persönlichen Sicherheit geht. Andererseits bin ich es ja nicht anders gewohnt. Wir sehen uns dann morgen, meine Herren.« Mit einer gereizten Handbewegung entließ er seine Gäste.
Nachdem sie gegangen waren, saß er grübelnd auf seinem Stuhl. »Euch ist schon klar, dass das eine Falle ist?«
»Eine Falle für wen?«, fragte ich.
»Für mich natürlich.« Er wandte sich an Terentia. »Denk doch mal nach: In ganz Italien gibt es angeblich nur einen einzigen Mann, der in der Lage ist, Clodius’ Alibi zu kippen. Und das bin ausgerechnet ich. Glaubst du, das ist Zufall?« Terentia sagte nichts darauf. Auch mir war dieser Gedanke noch nicht gekommen. Er drehte sich wieder zu mir. »Dieser Zeuge aus Interamna,
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