02 Titan
Blickfeld.
Lucullus nahm seine Beweisführung wieder auf, und ich spürte, wie beim Anblick dieses verfaulenden Plutokraten, der, ohne es zu wissen, einen Schatz besaß, für den ich in diesem Moment mein Leben gegeben hätte, ein gewaltiger Hass in mir aufstieg. Ich war so mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich kurz nicht auf das achtete, was er sagte, und ihm erst wieder zuhörte, als die Menge nach Luft schnappte und in verzücktes Gelächter ausbrach. Er schilderte gerade, wie er sich im Schlafgemach seiner Frau versteckt
hatte und sie und ihren Bruder dabei beobachtete, wie sie es miteinander trieben. »Von hinten … Hund auf Hündin«, wie er sich ausdrückte. Außerdem, fuhr Lucullus fort, ohne die wachsende Unruhe in der Menge zu bemerken, habe Clodius seine niederen Gelüste nicht auf die eine Schwester beschränkt, sondern sich auch noch mit der Eroberung der beiden anderen gebrüstet. Angesichts der Tatsache, dass Clodias Mann Celer gerade aus Gallia Cisalpina zurückgekehrt war, um sich für das Konsulat zu bewerben, stellte diese Anschuldigung eine besondere Sensation dar. Währenddessen saß Clodius einfach da und grinste seinen ehemaligen Schwager breit an, wohl wissend, dass alles, was Lucullus ihm an Schaden zuzufügen meinte, dessen eigenem Ruf weit mehr schadete. Das war der dritte Tag, an dem die Anklage ihre Beweisführung abschloss. Nachdem sich das Gericht vertagt hatte, hielt ich mich noch eine Zeit lang auf dem Forum auf, weil ich hoffte, Agathe wiederzusehen, doch hatte man sie anscheinend schon weggebracht.
Am vierten Tag machte sich die Verteidigung an die Arbeit, Clodius aus seinem stinkenden Morast zu ziehen. Wie es schien, eine hoffnungslose Aufgabe, hegte doch niemand, nicht einmal Curio, ernsthafte Zweifel daran, dass sein Mandant das ihm zur Last gelegte Verbrechen begangen hatte. Trotzdem tat Curio sein Bestes. Seine Argumentation lief im Kern darauf hinaus, die ganze Episode als eine simple Verwechslung darzustellen. Trübes Licht, hysterische Frauen, ein verkleideter Eindringling – wie könne da überhaupt jemand mit Sicherheit behaupten, dass es sich um Clodius gehandelt habe? Eine wenig überzeugende Taktik. Doch dann, es war schon fast Mittag, präsentierte Clodius’ Verteidigung einen Überraschungszeugen. Ein Mann namens Gaius Causinius Schola, ein scheinbar ehrenwerter Bürger aus der etwa neunzig Meilen von Rom entfernten Stadt Interamna, behauptete, Clodius sei in der fraglichen Nacht in seinem Haus
gewesen. Selbst bei der Befragung durch die Ankläger ließ er sich in diesem Punkt nicht beirren, und obwohl er als einzige Stimme gegen ein Dutzend anderer der Gegenseite stand, einschließlich der entschiedenen Aussage von Caesars eigener Mutter, hinterließ er merkwürdigerweise einen glaubhaften Eindruck.
Cicero, der im eigens für die Senatoren abgesperrten Bereich saß, gab mir ein Zeichen, zu ihm zu kommen. »Entweder lügt dieser Bursche, oder er ist geisteskrank«, flüsterte er. »Am Tag der Bona-Dea-Zeremonie hat Clodius mich besucht. Ganz sicher. Ich weiß noch, dass ich mich deswegen mit Terentia gestritten habe.«
Als er mir das erzählte, erinnerte ich mich auch wieder daran und bestätigte ihm, dass er Recht habe.
»Gibt’s irgendwas?«, fragte Hortensius, der wie üblich neben Cicero saß und wissen wollte, worüber wir da flüsterten.
Cicero drehte sich zu ihm. »Ich habe gerade gesagt, dass Clodius an diesem Tag bei mir zu Hause war, wie soll er es da bis zum Abend nach Interamna geschafft haben? Das Alibi ist absurd.« Er sprach gänzlich ohne Vorbedacht; hätte er vorher über die Folgen seiner Worte nachgedacht, wäre er vorsichtiger gewesen.
»Dann musst du aussagen«, sagte Hortensius sofort. »Der Zeuge muss erledigt werden.«
»O nein«, entgegnete Cicero schnell. »Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich mich da nicht einmische.« Dann stand er auf und verließ sofort das Forum. Ich folgte ihm mit den beiden Muskelpaketen von Sklaven, die ihm in jenen Tagen als Leibwächter dienten. »Das war dumm von mir«, sagte er, als wir den Hügel zu seinem Haus hinaufgingen. »Ich werde langsam alt.« Hinter uns brandete lautes Gelächter auf, sicher nach einer Wortmeldung eines Clodius-Anhängers: Die Beweislast mochte gegen ihn sprechen, der Pöbel stand ganz auf seiner Seite. Ich spürte, dass Cicero mit dem Verlauf des
Prozesstages unzufrieden war. Ziemlich überraschend schien die Verteidigung das Kommando zu übernehmen.
Nachdem
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