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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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gesprochen.
    Kein Wunder, dass Cicero sich schwertat, seine Ansprache zur Amtseinführung aufzusetzen, und dass, als wir wieder zu Hause waren und er mit dem Diktat fortzufahren versuchte, seine Stimme immer wieder verstummte. Mit geistesabwesendem Gesichtsausdruck starrte er ins Leere und fragte sich ein ums andere Mal mit lauter Stimme, warum man den Jungen auf diese Weise umgebracht habe und was es bedeute, dass er Hybrida gehört hatte. Cicero stimmte
mit Octavius überein: Wahrscheinlich waren die Gallier die Täter. Menschenopfer gehörten zu ihren kultischen Handlungen. Er ließ deshalb dem mit ihm befreundeten Quintus Fabius Sanga, dem einflussreichsten Fürsprecher der Gallier im Senat, eine Botschaft überbringen, in der er ihn inoffiziell fragte, ob er ihnen eine solche Gräueltat zutraue. Binnen einer Stunde teilte ihm Sanga in einem Brief ziemlich verärgert mit, dass er das natürlich nicht für möglich halte und dass die Gallier es als schwere Beleidigung auffassen würden, sollte der designierte Konsul derart abträgliche Spekulationen verbreiten. Cicero warf den Brief seufzend beiseite und versuchte, den Faden seiner Gedanken wieder aufzunehmen. Aber er schaffte es nicht, sie auf logische Weise miteinander zu verknüpfen, und kurz vor Sonnenuntergang verlangte er wieder nach seinem Umhang und seinen Stiefeln.
    Ich hatte angenommen, dass er wie so oft, wenn er an einer Rede arbeitete, in den öffentlichen Gärten nicht weit von unserem Haus einen Spaziergang machen wollte. Doch als wir die Kuppe des Hügels erreicht hatten, wandte er sich nicht nach rechts, sondern ging weiter in Richtung Porta Esquilina, und ich begriff zu meiner Verwunderung, dass er den Ort jenseits der heiligen Grenze der Stadt ansteuerte, wo die Leichen verbrannt wurden – einen Ort, den er sonst um jeden Preis mied. Wir gingen an den Trägern, die gleich hinter dem Eingang mit ihren Handkarren auf Arbeit warteten, und dem niedrigen Gebäude vorbei, in dem der Carnifex seinen Amtssitz hatte, da es ihm als amtlichem Scharfrichter verboten war, innerhalb der Stadtgrenzen zu leben. Schließlich erreichten wir den heiligen Hain der Libitina, in dem es von krächzenden Krähen nur so wimmelte, und näherten uns dem Tempel. In jenen Tagen befand sich hier das Hauptquartier der Bestatterzunft: der Ort, an dem man alles Nötige für ein Begräbnis kaufen konnte, von den Utensilien,
die man zur Einölung eines Leichnams benötigte, bis zu der Totenbahre, auf der man die sterblichen Überreste einäscherte. Cicero ließ sich von mir Geld geben, ging weiter und sprach mit einem Priester. Er gab ihm den Beutel mit dem Geld, und gleich darauf erschienen ein paar professionelle Klageweiber. Cicero winkte mich zu sich. »Wir kommen gerade passend«, sagte er.
    Wir müssen eine seltsame Prozession abgegeben haben, als wir im Gänsemarsch den Campus Esquilinus überquerten, vorneweg die Klageweiber mit den Weihrauchgefäßen, dann der designierte Konsul, dann ich. Im Dämmerlicht um uns herum die züngelnden Flammen der Scheiterhaufen, die weinenden Hinterbliebenen und der widerwärtig süßliche Geruch von Weihrauch – der stark war, aber doch nicht stark genug, um den Gestank der brennenden Toten zu überdecken. Die Klageweiber führten uns zu der öffentlichen Ustrina, wo schon ein Handkarren mit einem Stapel Leichen stand, die darauf warteten, in die Flammen geworfen zu werden. Ohne Kleidung und Schuhe sahen die Körper, auf die niemand Anspruch erhoben hatte, im Tod so armselig aus, wie sie es auch im Leben gewesen waren. Nur der ermordete Junge war bedeckt: Ich erkannte das Segeltuch, in das man ihn jetzt stramm eingenäht hatte. Als ein paar Helfer ihn mühelos auf das Eisengitter warfen, beugte Cicero den Kopf, und die angemieteten Klageweiber verfielen in besonders lautes Wehklagen, ohne Zweifel in der Hoffnung auf ein gutes Trinkgeld. Die Flammen schossen in die Höhe, fielen wieder in sich zusammen, und dann war alles sehr schnell vorbei: Den Jungen hatte das Schicksal ereilt, das uns alle erwartet.
    Diese Szene habe ich nie vergessen.
    Die zweifellos größte Gnade, die uns die Vorsehung gewährt, ist die Unkenntnis über unsere Zukunft. Stellen wir uns nur einmal vor, wir wüssten, was aus unseren Hoffnungen
und Plänen wird, oder wir könnten voraussehen, auf welche Weise wir dereinst sterben – unser Leben wäre ruiniert! Stattdessen leben wir von Tag zu Tag stumpfsinnig und zufrieden wie die Tiere. Aber am Ende muss alles

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