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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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habe mich mit eigenen Augen davon überzeugt, dass die dunklen Gerüchte, die in der Stadt umgehen, falsch sind!« Er musste brüllen, um sich gegen das Heulen des schneidenden Windes Gehör zu verschaffen. »Geht nach Hause zu euren Familien und genießt die restlichen Festtage.«
    »Aber ich habe die Leiche selbst gesehen!«, rief ein Mann. »Das war ein Menschenopfer, es wird Unheil über die Republik bringen!«
    Andere schlossen sich an. »Die Stadt ist verflucht!«
    »Euer Konsulat ist verflucht!«
    »Holt die Priester!«
    Cicero hob die Hände. »Es stimmt, die Leiche befand sich in einem grauenvollen Zustand. Aber was habt ihr erwartet? Der arme Bursche hat lange im Wasser gelegen. Die Fische haben auch Hunger. Die besorgen sich ihr Futter dort, wo sie es kriegen können. Wollt ihr wirklich, dass ich einen Priester hole? Was soll der tun? Die Fische verfluchen? Die Fische segnen? « Ein paar fingen an zu lachen. »Seit wann fürchten sich Römer vor Fischen? Geht nach Hause. Lasst es euch gutgehen. Übermorgen haben wir ein neues Jahr, mit einem neuen Konsul – einem, da könnt ihr sicher sein, der immer für euer Wohlergehen sorgen wird!«
    Es war keine große Ansprache, nicht nach seinen Maßstäben, aber sie erfüllte ihren Zweck. Einige aus der Menge
ließen ihn sogar hochleben. Er sprang von dem Holzstapel herunter. Die Legionäre drängten den Pöbel zurück, und wir machten uns schnell auf den Rückweg. Als wir uns dem Stadttor näherten, schaute ich mich noch einmal um. Die ersten Schaulustigen lösten sich schon aus der Menge und machten sich davon, um neue Vergnügungen aufzutun. Als ich mich wieder Cicero zuwandte, um ihm zur Wirkung seiner Worte zu gratulieren, stand er vornübergebeugt am Straßenrand und übergab sich.

    Am Vorabend von Ciceros Konsulat glich die Stadt einem brodelnden Kessel – aus Hunger, Gerüchten und Angst; aus verkrüppelten Veteranen und bankrotten Bauern, die an jeder Straßenecke die Passanten anbettelten; aus lärmenden Banden betrunkener junger Männer, die die Ladenbesitzer terrorisierten und Schlägereien anzettelten; aus Frauen, die guten Familien entstammten und sich offen vor den Tavernen prostituierten; aus plötzlich ausbrechenden Feuersbrünsten, stürmischen Gewittern, mondlosen Nächten und den Abfall durchwühlenden Hunden; aus Fanatikern, Wahrsagern und Bettlern. Pompeius war noch als Oberbefehlshaber der Legionen im Osten, und in seiner Abwesenheit hing wie Nebelschwaden vom Fluss eine beklommene, wechselhafte Stimmung in den Straßen, die jedem eine unerklärliche Angst einjagte – als drohte irgendein gewaltiges Ereignis, von dem aber niemand eine klare Vorstellung hatte. Es hieß, die neuen Volkstribunen arbeiteten zusammen mit Caesar und Crassus an einem weitreichenden und geheimen Plan, Siedlungsland an die arme Stadtbevölkerung zu verteilen. Cicero hatte vergeblich versucht, Näheres darüber herauszufinden. Es war klar, dass die Patrizier Widerstand leisten würden. Güter aller Art wurden knapp, Nahrungsmittel
wurden gehortet, die Läden waren leer. Sogar die Geldverleiher gaben keine Kredite mehr aus.
    Was Ciceros Mitkonsul Gaius Antonius Hybrida anging – Hybrida, der Mischling: halb Mensch, halb Tier –, so war dieser ein Barbar und dumm, also ein perfekter Kandidat für Ciceros Todfeind Catilina, der sich zusammen mit ihm um das Konsulat beworben hatte. Dennoch hatte Cicero sich – weil er glaubte, Verbündete zu brauchen, und obwohl ihm klar war, welche Risiken das barg – unermüdlich um ein gutes Verhältnis zu Antonius Hybrida bemüht. Unglücklicherweise hatten seine Annäherungsversuche zu nichts geführt, und ich weiß auch, warum. Es war Brauch, dass die beiden designierten Konsuln im Oktober auslosten, wer nach Ende der einjährigen Amtszeit in welcher Provinz Statthalter werden würde. Hybrida, dem die Schulden bis zum Hals standen, hatte seine Hoffnungen auf das rebellische, aber lukrative Macedonia gesetzt, wo immense Reichtümer nur darauf warteten, eingesammelt zu werden. Zu seinem großen Ärger hatte er jedoch die friedlichen Auen von Gallia Cisalpina erwischt, wo nicht mal eine Feldmaus aufmuckte. Es war Cicero, der Macedonia gezogen hatte, und als das Ergebnis im Senat verkündet wurde, hatte sich ein derart infantiler Ausdruck von Groll und Überraschung auf Hybridas Gesicht gespiegelt, dass die gesamte Kammer in Gelächter ausgebrochen war. Seitdem hatten er und Cicero kein Wort mehr miteinander

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