Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
derart kräftigen Hieb über, dass der arme Bursche um ein Haar gestürzt wäre. Der Aufseher kämpfte sich durch den hohen Schnee auf mich zu, wobei er die Knie fast bis zur Hüfte anheben musste. Dann tauchte eine zweite Sänfte auf, eine dritte, eine vierte. Sie blieben vor dem Haus stehen, und in dem Augenblick, als die Träger ihre Lasten abgesetzt hatten, sanken sie alle in den Schnee und hingen keuchend über den Tragebalken wie Ruderer über ihren Riemen. Das Erscheinen dieser Leute kümmerte mich nicht im Geringsten.
    »Das ist zwar Ciceros Haus«, rief ich, »aber er empfängt heute keine Besucher.«
    »Uns empfängt er!«, hörte ich eine vertraute Stimme aus dem Innern der ersten Sänfte, und dann zog eine klauenartige, knochige Hand den Vorhang zur Seite, und ich sah Quintus Lutatius Catulus, den Führer der Patrizier-Fraktion im Senat. Er war bis unter sein spitzes Kinn in Tierfelle eingewickelt und sah wie ein großes, bösartiges Wiesel aus.
    »Senator«, sagte ich und verbeugte mich. »Ich werde Bescheid geben, dass Ihr da seid.«
    »Nicht nur ich«, sagte Catulus.
    Ich schaute zur nächsten Sänfte, aus der steif und seine alten Soldatenknochen verfluchend Publius Servilius Vatia Isauricus kletterte, der Eroberer der Festung Olympos und
»Vater des Senats«. Dahinter tauchte Quintus Hortensius Hortalus auf, Lieblingsadvokat der Patrizier und Ciceros großer Widersacher in den Gerichtshöfen. Dieser wiederum bot seine Hand einem vierten Senator, dessen verschrumpeltes, nussbraunes und zahnloses Gesicht ich nirgendwo unterbringen konnte. Er sah schon sehr hinfällig aus. Ich ging davon aus, dass er schon lange nicht mehr an den Senatsdebatten teilnahm.
    »Hochverehrte Herren«, sagte ich in meinem salbungsvollsten Tonfall, »bitte folgt mir. Ich werde dem designierten Konsul Bescheid geben.«
    Ich flüsterte dem Türwächter zu, dass er sie ins Tablinum führen solle, und eilte in Richtung Ciceros Arbeitszimmer davon. Schon im Gang hörte ich seine bombastisch deklamierende Stimme. »Und erkläre ich hiermit dem römischen Volk, es reicht!« Als ich die Tür öffnete, stand er mit dem Rücken zu mir, eine Hand ausgestreckt, Daumen und Mittelfinger zum Kreis geformt, und sprach zu meinen beiden Schreibern Sositheus und Laurea. »Und dir, Tiro«, sagte er, ohne sich umzudrehen, »erkläre ich hiermit, keine weitere Störung, verdammt nochmal! Welche Zeichen schicken uns die Götter denn jetzt schon wieder? Regnet es Frösche?«
    Die Schreiber kicherten. Das ehrgeizigste Lebensziel zum Greifen nahe, hatte Cicero die Irritationen des Vortages vergessen und war bester Laune.
    »Eine Delegation vom Senat will Euch sprechen.«
    »Na also, das nenne ich ein unheilvolles Menetekel. Wer alles?«
    »Catulus, Isauricus, Hortensius und einer, den ich nicht kenne.«
    »Die Stützen der Aristokratie? Hier in meinem Haus?« Er schaute mich über die Schulter scharf an. »Bei so einem Wetter? Ein so kleines Haus haben die wahrscheinlich noch nie von innen gesehen. Was wollen sie?«
    »Keine Ahnung.«
    »Na gut, aber vergiss nicht, alles genau mitzuschreiben.« Er warf sich seine Toga über und reckte das Kinn vor. »Wie sehe ich aus?«
    »Wie ein Konsul.«
    Er stieg über die Wachstafeln mit den verworfenen Rohfassungen seiner Rede hinweg und machte sich auf den Weg ins Tablinum. Der Türwächter hatte Stühle für die vier Besucher geholt, doch nur einer hatte sich gesetzt – der zitterige alte Senator, den ich nicht kannte. Die anderen, jeder Einzelne mit seinem eigenen Diener zur Seite, standen beisammen und fühlten sich sichtlich unwohl im Haus eines homo novus von so niedriger Geburt, dessen Kandidatur für das Konsulat sie nur widerwillig unterstützt hatten. Hortensius hielt sich tatsächlich ein Taschentuch vor die Nase, ganz so, als wäre Ciceros mangelhafte Abstammung ansteckend.
    »Catulus«, sagte Cicero leutselig, als er den Raum betrat. »Isauricus. Hortensius. Ich fühle mich geehrt.« Er nickte jedem der ehemaligen Konsuln zu, aber als er sich dem vierten Senator zuwandte, merkte ich, dass sein sonst außerordentliches Gedächtnis ihn vorübergehend im Stich ließ. »Rabirius«, sagte er nach kurzem Kopfzerbrechen. »Gaius Rabirius, richtig?« Er streckte die Hand aus, aber der alte Mann reagierte nicht, so dass Cicero seine Geste elegant in eine ausladende Armbewegung zum Raum hin überleitete. »Willkommen in meinem Heim. Es ist mir ein Vergnügen.«
    »Mit Vergnügen hat das nichts zu tun«,

Weitere Kostenlose Bücher