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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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die zu ihm hindrängten, um ihn betrachten zu können. Ich wurde geschubst und gestoßen und hatte alle Mühe, nicht von Cicero getrennt zu werden. Ich sah eine Postenkette aus Legionären, deren Helme und Brustpanzer in der grellen Januarsonne blitzten, und dahinter  – auf einer Tribüne mit reservierten Sitzplätzen für die vornehmen Zuschauer – die Militärführer Quintus Metellus, den Eroberer von Kreta, und Licinius Lucullus, der vor Pompeius den Oberbefehl im Osten innegehabt hatte. Als
Cicero die beiden sah, warf er mir einen Blick zu und verzog dabei das Gesicht. Für ihre Unterstützung seines Wahlkampfs hatte er den beiden aristokratischen Generälen Triumphe versprochen, hatte deswegen aber bis jetzt noch nichts unternommen.
    »Die Lage muss wirklich ernst sein«, flüsterte Cicero mir zu. »Lucullus bequemt sich aus seinem Palast an der Bucht von Neapel, um sich unter den Pöbel zu mischen.«
    Er stieg die Leiter zum Podium hinauf, es folgten Hortensius und schließlich Rabirius, der jedoch so gebrechlich war, dass seine Anwälte ihn unter den Armen fassen und hochhieven mussten. Die drei Männer schienen von dem Speichel zu glitzern, mit dem sie auf ihrem Weg zum Podium bespuckt worden waren. Vor allem Hortensius stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, offensichtlich war er sich nicht im Klaren darüber gewesen, wie unbeliebt der Senat sich im Lauf des harten Winters gemacht hatte. Die Redner setzten sich auf ihre Bank, Rabirius nahm zwischen ihnen Platz. Eine Trompetenfanfare erscholl, und auf dem Janiculum jenseits des Flusses wurde zum Zeichen, dass der Stadt keine Gefahr durch einen Angriff drohe und die Versammlung beginnen konnte, die rote Flagge gehisst.
    Da Labienus als Volkstribun den Vorsitz innehatte, bestimmte er nicht nur den Ablauf der Verhandlung, sondern trat auch als Ankläger auf, was ihm einen gewaltigen Vorteil verschaffte. Von Natur aus ein Tyrann, rief er sich selbst als ersten Redner auf und begann sofort, Rabirius mit Beschimpfungen zu überschütten, worauf der alte Mann immer mehr in sich zusammensackte. Er machte keine Anstalten, Zeugen aufzurufen. Das war auch nicht nötig: Die Stimmen der Menge waren ihm ja sicher. Zum Schluss seiner Rede ließ er sich über die Arroganz des Senats aus und über die gierige kleine Gruppe, die ihn beherrschte, sowie über die Notwendigkeit, an Rabirius ein hartes Exempel zu
statuieren, auf dass in Zukunft kein Konsul sich auch nur vorstellen könne, den Mord an einem Mitbürger zu billigen und damit ungeschoren davonzukommen. Die Menge jubelte ihm zu. »In diesem Augenblick kam es wie eine Offenbarung über mich«, vertraute Cicero mir später an. »Ich erkannte, dass es Caesars hinrichtungswilliger Pöbel gar nicht auf Rabirius, sondern auf mich abgesehen hatte, auf mich als Konsul, und dass ich irgendwie die Kontrolle über das Geschehen zurückgewinnen musste, wenn ich nicht meine Autorität, mit Figuren wie Catilina fertigzuwerden, völlig einbüßen wollte.«
    Hortensius sprach als Nächster und gab sein Bestes, doch gehörten jene geschliffenen, bombastischen Reden, für die er so berühmt war, in ein anderes Ambiente – und eigentlich auch in eine andere Zeit. Er war über fünfzig, war mehr oder weniger im Ruhestand, war außer Übung – und das merkte man. Einige der ganz vorn stehenden Zuschauer begannen schon über ihn zu reden, und ich sah die Panik in Hortensius’ Gesicht, als er allmählich erkannte, dass ihm – dem großen Hortensius, dem »Tanzmeister«, dem König der Gerichtshöfe – tatsächlich das Publikum entglitt. Je hektischer er die Arme bewegte, auf dem Podium herumlief und seinen edlen Kopf hin und her schwenkte, desto lächerlicher wirkte er. Niemand interessierte sich für seine Argumente. Wegen des höllischen Lärms konnte ich nicht alles verstehen, was er sagte, Tausende von Menschen drängelten sich da unten, redeten miteinander und warteten nur darauf, endlich abstimmen zu können. Hortensius brach seine Rede ab, wischte sich mit einem Tuch über das trotz der Kälte schweißnasse Gesicht und rief seine Zeugen auf, zuerst Catulus, dann Isauricus. Sie kamen nacheinander auf das Podium, und man hörte ihnen respektvoll zu. In dem Augenblick jedoch, als Hortensius seine Rede fortsetzen wollte, schwoll der Lärm sofort wieder an. Er hätte die Sprachgewalt eines
Demosthenes mit dem scharfen Verstand eines Platon paaren können – es wäre völlig unerheblich gewesen. Bleich und reglos, als

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