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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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wäre er aus Marmor gemeißelt, starrte Cicero hinunter auf die lärmende Menschenmenge.
    Schließlich setzte sich Hortensius, nun war Cicero an der Reihe. Labienus erteilte ihm das Wort, aber es herrschte ein derart ohrenbetäubender Krach, dass Cicero einfach sitzen blieb. Stattdessen begutachtete er sorgsam seine Toga und zupfte ein paar unsichtbare Fussel weg. Der Tumult wollte nicht abebben. Er betrachtete seine Fingernägel. Er verschränkte die Arme. Er schaute herum. Er wartete. So ging das ziemlich lange. Und wundersamerweise senkte sich schließlich eine Art missmutige, aber respektvolle Stille auf das Marsfeld herab. Cicero nickte beifällig und erhob sich erst dann langsam von seinem Stuhl.
    »Bürger Roms«, sagte er, »obwohl es nicht meine Gewohnheit ist, eine Rede mit der Begründung zu beginnen, warum ich eine bestimmte Person vertrete, so halte ich es dennoch für meine Pflicht, euch heute zu erklären, warum ich das Leben, die Ehre und das Vermögen von Gaius Rabirius verteidige. In diesem Prozess geht es nämlich in Wahrheit nicht um Rabirius – einen alten und gebrechlichen Mann ohne jeden Freund. Dieser Prozess, meine Mitbürger, ist nichts weniger als der Versuch, dem Staat ab sofort seine zentralen Machtbefugnisse zu entziehen, jedes gemeinschaftliche Handeln guter Bürger gegen den Wahnsinn und die Dreistigkeit ruchloser Menschen unmöglich zu machen, der Republik in einer Notlage jede Zuflucht und jede Sicherheit für ihr Wohlergehen zu rauben. Und weil dem so ist«, fuhr er nun mit lauterer Stimme fort und hob die Hände und den Blick gen Himmel, »flehe ich Jupiter Optimus Maximus und alle anderen unsterblichen Götter und Göttinnen an, mir ihre Gnade und Gunst zuteilwerden zu lassen, und ich bete darum, dass kraft ihres Willens die Sonne
dieses Tages aufgegangen ist, um die Rettung meines Mandanten und die Festigung unserer Verfassung zu bezeugen!«
    Cicero pflegte zu sagen, je größer eine Menschenmenge sei, desto dümmer sei sie auch, und dass es im Umgang mit einer riesigen Menschenansammlung immer ein nützlicher Kunstgriff sei, das Übernatürliche anzurufen. Seine Worte brandeten wie ein Trommelwirbel über die stumme Menge. An den Rändern wurde zwar noch geredet, aber das war zu weit weg, als dass es ihn hätte übertönen können.
    »Du hast diese Versammlung einberufen, Labienus, du nennst dich einen großen Freund des Volkes. Aber wer von uns beiden ist wirklich der Freund des Volkes? Du, der es für richtig hält, den Bürgern Roms inmitten ihrer eigenen Versammlung mit dem Henker zu drohen? Du, der den Befehl gibt, auf dem Marsfeld ein Kreuz zur Bestrafung römischer Bürger zu errichten? Oder ich, der es ablehnt, diese Versammlung durch die Anwesenheit des Henkers zu besudeln? Was für ein Freund des Volkes unser Volkstribun doch ist, was für ein Hüter und Verteidiger seiner Rechte und Freiheiten!«
    Labienus machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Cicero, als wäre er eine Pferdebremse, die man einfach so verscheuchen könne, eine gereizte Geste: Wie alle Tyrannen war er besser darin, auszuteilen als einzustecken.
    »Du behauptest«, fuhr Cicero fort, »Gaius Rabirius habe Lucius Saturninus getötet, eine Anschuldigung, die Quintus Hortensius im Lauf seiner ausführlichen Verteidigungsrede klar widerlegt hat. Doch wenn es an mir wäre, ich würde dieser Anschuldigung tapfer ins Auge blicken, ich würde sie sogar zugeben. Ich würde auf schuldig plädieren!« Zornige Rufe wurden laut, aber Cicero übertönte sie. »Ganz recht, ich würde auf schuldig plädieren. Ich wünschte sogar, ich könnte hier verkünden, dass es tatsächlich die Hand meines
Mandanten war, die Saturninus, diesen Feind des Staates, erstochen hat!« Er zeigte mit theatralischer Geste auf die Büste, und es dauerte eine Zeit, bis das feindselige Gejohle wieder etwas abgeflaut war und er weitersprechen konnte. »Du sagst, dein Onkel war vor Ort, Labienus. Nun gut, nehmen wir an, das stimmt. Und nehmen wir weiter an, dass er nicht deshalb dort war, weil ihm seine ruinierten Vermögensverhältnisse keine andere Wahl ließen, sondern weil er wegen seiner engen Beziehung zu Saturninus den Freund über sein Vaterland stellte. Sollte das etwa ein Grund für Gaius Rabirius sein, der Republik untreu zu werden und den Befehl und die Amtsgewalt des Konsuls zu missachten? Was wäre meine Pflicht, meine Mitbürger, wenn Labienus wie Saturninus ein Massaker unter römischen Bürgern anrichten, aus dem

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