02 Titan
vergangen, als Cicero bei der Volksversammlung über Rullus’ Gesetz niedergebrüllt worden war, da tauchte Hortensius auf, um mit ihm die Verteidigungsstrategie für Rabirius zu besprechen. Ciceros
Überlastung hatte zur Konsequenz, dass Hortensius, der sonst nicht viel zu tun hatte, praktisch die Kontrolle über den Fall übernommen hatte. Er nahm in Ciceros Arbeitszimmer Platz und verkündete selbstzufrieden, dass er den Fall gelöst habe.
»Gelöst?«, wiederholte Cicero. »Wie?«
Hortensius lächelte. »Ich habe«, sagte er, »einige Schreiber angeheuert, die Beweise sammeln sollten, und die sind auf eine faszinierende Tatsache gestoßen. Ein Schurke namens Scaeva, ein Sklave eines gewissen Senators Quintus Croton, ist sofort nach der Ermordung von Saturninus in die Freiheit entlassen worden. Die Schreiber haben dann in den Staatsarchiven weiter nachgeforscht. Laut Scaevas Freilassungspapieren ist er es gewesen, der Saturninus den ›tödlichen Messerstich versetzt‹ hat, und für diese ›patriotische Tat‹ ist er vom Senat mit der Freiheit belohnt worden. Scaeva und Croton sind zwar schon lange tot, aber Catulus hat, nachdem sein Gedächtnis erst mal wieder aufgefrischt war, behauptet, dass er sich an den Vorfall erinnern kann. Er versichert unter Eid, dass er gesehen hat, wie Scaeva, nachdem Saturninus von den Steinwürfen bewusstlos war, nach unten ins Senatsgebäude geklettert ist und ihn mit dem Messer abgestochen hat.«
Er überreichte Cicero die eidesstattliche Erklärung von Catulus. »Und damit, da wirst du mir wohl zustimmen, ist Labienus’ Fall gegen unseren Klienten erledigt und mit ein bisschen Glück auch diese ganze erbärmliche Angelegenheit«, schloss Hortensius. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schaute Cicero in einer bedeutungsvoll selbstzufriedenen Manier an. »Sag mir jetzt bloß nicht, dass du anderer Meinung bist«, fügte er hinzu, als er Ciceros gerunzelte Stirn sah.
»Im Prinzip hast du natürlich Recht. Aber ich frage mich, ob uns das in der Praxis viel helfen wird.«
»Und ob es das wird! Labienus’ Fall ist mausetot. Das muss sogar Caesar zugeben. Also wirklich, Cicero«, fügte er lächelnd hinzu und wedelte fast unmerklich mit einem manikürten Finger. »Ich glaube fast, du bist ein bisschen neidisch.«
Cicero ließ sich nicht von seiner Überzeugung abbringen. »Nun ja, wir werden sehen«, sagte er nach der Unterredung zu mir. »Aber ich fürchte, Hortensius macht sich keine Vorstellung von der Macht unserer Gegner. Er hält Caesar immer noch für irgendeinen jungen ehrgeizigen Senator, der nach oben will. Er muss erst noch in seine Abgründe blicken.«
Und tatsächlich, noch am selben Tag, an dem Hortensius seine Beweise dem Sondergericht Caesars vorlegte, sprachen Caesar und sein Nebenrichter, sein älterer Neffe, ohne auch nur einen einzigen Zeugen anzuhören, Rabirius schuldig und verurteilten ihn zum Tod am Kreuz. Die Nachricht raste wie ein Feuersturm durch die engen Straßen Roms, und als Hortensius am nächsten Morgen Ciceros Arbeitszimmer betrat, war von seiner Selbstzufriedenheit nichts mehr zu spüren.
»Der Mann ist ein Monstrum. Ein mieses, verkommenes Schwein!«
»Und wie hat unser unglückseliger Klient es aufgenommen?«
»Er weiß es noch gar nicht. Es erschien mir menschlicher, ihm noch nichts zu sagen.«
»Und was tun wir jetzt?«
»Wir haben keine Wahl. Wir gehen in Berufung.«
Unverzüglich legte Hortensius Berufung beim Stadtprätor Lentulus Sura ein, der seinerseits die Angelegenheit an eine Volksversammlung verwies, die für die kommende Woche auf dem Marsfeld angesetzt wurde. Vom Standpunkt der Klägerseite war das ideales Terrain: kein Gericht mit seriösen Geschworenen, sondern mit einer brodelnden Masse
von Bürgern. Damit sie alle über Rabirius’ Schicksal abstimmen konnten, musste die gesamte Verhandlung in einen einzigen kurzen Wintertag gepresst werden. Und als wäre das noch nicht genug, verfügte Labienus in seiner Funktion als Volkstribun auch noch über die Macht, jede Rede der Verteidigung auf eine halbe Stunde zu begrenzen. Als Cicero von dieser Einschränkung erfuhr, bemerkte er: »Hortensius braucht schon eine halbe Stunde, um sich zu räuspern!« Als der Tag der Anhörung näher rückte, gerieten die beiden Verteidiger immer öfter aneinander. Hortensius betrachtete den Fall aus rein juristischem Blickwinkel. Der Hauptzweck seiner Rede, so erklärte er, sei die Beweisführung, dass Scaeva der wahre Mörder von
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