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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Saturninus gewesen sei. Cicero war anderer Meinung, er verstand den Prozess als ausschließlich politisches Manöver. »Das ist kein Gerichtshof«, mahnte er Hortensius, »das ist der Pöbel. Glaubst du allen Ernstes, dass bei all dem Lärm und Trubel, bei den Tausenden von Menschen, die sich da drängeln, sich auch nur einer dafür interessiert, dass irgendein erbärmlicher Sklave, der schon seit Jahren tot ist, den letztlich tödlichen Messerstich geführt hat?«
    »Welche Strategie würdest du dann verfolgen?«
    »Ich glaube, wir müssen von Anfang an einräumen, dass Rabirius zwar der Mörder war, die Tat jedoch juristisch sanktioniert war.«
    Hortensius warf die Hände in die Luft. »Also wirklich, Cicero, dein Ruf als fintenreicher Anwalt in allen Ehren, aber das ist einfach pervers.«
    »Ich fürchte, du verbringst zu viel Zeit in der Bucht von Neapel, beim Plaudern mit deinen Fischen. Im Gegensatz zu mir kennst du unsere Stadt nicht mehr.«
    Da sie sich auf keine gemeinsame Linie einigen konnten, beschlossen sie, dass erst Hortensius und dann Cicero sprechen würde, jeder nach eigenem Gutdünken. Ich war froh,
dass Rabirius geistig schon zu weggetreten war, um zu begreifen, was um ihn herum vorging, sonst wäre er sicherlich schon in Verzweiflung versunken, zumal ganz Rom seinem Prozess wie einem Gladiatorenkampf entgegenfieberte. Das Kreuz auf dem Marsfeld hatte sich zu einem regelrechten Treffpunkt entwickelt, der mit Plakaten behängt war, auf denen Gerechtigkeit, Land und Brot gefordert wurden. Obendrein hatte Labienus eine Büste von Saturninus herbeigeschafft, die er mit Lorbeer bekränzen und auf der Rostra hatte aufstellen lassen. Ebenfalls nicht gerade hilfreich war Rabirius’ Ruf als alter bösartiger Geizkragen; sogar sein Adoptivsohn war Geldverleiher. Da er nicht den geringsten Zweifel daran hegte, dass man Rabirius schuldigsprechen würde, beschloss Cicero, zumindest sein Leben zu retten. Im Senat brachte er deshalb einen Dringlichkeitsantrag mit dem Inhalt ein, die Strafe für perduellio von Kreuzigung auf Exil zu verringern. Dank Hybridas Unterstützung wurde dieser trotz der wütenden Proteste Caesars und der Volkstribunen mit knapper Mehrheit angenommen. Noch am gleichen Tag zog Metellus Celer spätabends mit einem Trupp Sklaven zum Marsfeld hinaus, ließ das Kreuz abreißen, zerhacken und verbrennen.
    Das war der Stand der Dinge am Morgen des Prozesstages. Als Cicero noch einmal seine Rede durchging und sich schon für seinen Auftritt auf dem Marsfeld umzog, erschien Quintus in seinem Zimmer und drängte seinen Bruder ein letztes Mal, die Verteidigung niederzulegen. Er hätte alles Menschenmögliche getan, sagte Quintus, und würde nur einen überflüssigen Ansehensverlust erleiden, wenn man Rabirius schuldigspreche. Außerdem begebe er sich in physische Gefahr, wenn er den Popularen außerhalb der Stadtmauern die Stirn böte. Ich sah Cicero an, dass ihm die Argumente einleuchteten. Nicht der geringste der Gründe, warum ich ihn trotz all seiner Fehler liebte, war der, dass er
über die meiner Meinung nach faszinierendste Form des Mutes verfügte: über die Tapferkeit des ängstlichen Mannes. Wenn ein Mann seinem eigenen Leben keinen Wert beimisst oder nicht den Verstand besitzt, Gefahren einzuschätzen, dann kann schließlich jeder dumme Draufgänger ein Held sein. Aber die Gefahren zu begreifen, vielleicht anfangs sogar zurückzuweichen, dann aber alle Kraft zusammenzunehmen, um sie doch zu überwinden – das ist in meinen Augen die rühmenswerteste Form von Heldenmut, und das war es, was Cicero an jenem Tag zeigte.
    Als wir auf dem Marsfeld eintrafen, stand Titus Labienus schon auf dem Podium – neben seinem kostbaren Bühnenrequisit, der Büste von Saturninus. Er war ein ehrgeiziger Soldat, einer von Pompeius’ Gefolgsleuten aus Picenum, und er hatte die Neigung, den großen General in jeder Hinsicht zu kopieren – seinen Leibesumfang, seinen stolzierenden Gang, sogar seine Haare, die er im pompejanischen Stil nach hinten frisiert trug. Als er Cicero mit seinen Liktoren kommen sah, steckte er den Finger in den Mund und ließ einen höhnischen Pfiff über den Platz gellen, den die Menge, sicher mehr als zehntausend Menschen, sofort nachmachte. Es war ein einschüchterndes Geräusch, das sogar noch gellender wurde, als Hortensius mit Rabirius an der Hand auftauchte. Der alte Mann schien weniger ver ängstigt als vielmehr verwirrt zu sein über den Lärm und die vielen Menschen,

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