02 Titan
hatte er kaum mit Cicero gesprochen. Im Gegensatz zu seiner ungewöhnlich übellaunigen Frau war er ausnahmsweise guter Laune. Der Grund für diese gegensätzliche Stimmung offenbarte sich kurz vor dem Essen, als Servius Cicero auf ein persönliches Wort beiseitenahm. Er war gerade aus Rom eingetroffen und hatte einen höchst erfreulichen Klatsch mitgebracht. Er konnte sein Entzücken kaum verbergen. »Caesar hat sich eine neue Gespielin genommen: Servilia, die Frau von Decimus Junius Silanus!«
»Caesar hat also eine neue Geliebte, na und? Und gleich wirst du mir berichten, dass schon die ersten Blätter an den Bäumen hängen.«
»Verstehst du denn nicht? Damit sind nicht nur all diese grundlosen Gerüchte über Postumia und Caesar aus der Welt, Silanus dürfte es auch ziemlich schwerfallen, mich bei den Konsulatswahlen im Sommer zu schlagen.«
»Und warum das?«
»Caesar kontrolliert eine große Masse der popularen Stimmen. Die wird er ja wohl nicht dem Mann seiner Geliebten hinterherwerfen, oder? Mit der Zustimmung der Patrizier und dann noch deiner Unterstützung habe ich das Amt so gut wie gewonnen.«
»Na dann, gratuliere, wird mir eine Ehre sein, dich in drei Monaten zum Sieger auszurufen. Wissen wir eigentlich schon, wie viele Kandidaten antreten werden?«
»Vier sind sicher.«
»Du und Silanus, und wer noch?«
»Catilina.«
»Catilina tritt also auf jeden Fall an?«
»Ja. Kein Zweifel. Caesar hat schon verlauten lassen, dass er ihn wieder unterstützt.«
»Und der vierte?«
»Licinius Murena«, sagte Servius. Lucius Licinius Murena war früher Legat unter Lucullus gewesen und war jetzt Statthalter der Provinz Gallia Transalpina. »Aber er ist zu sehr Soldat, als dass er in Rom viele Anhänger gewinnen könnte.«
Sie speisten an jenem Abend unter freiem Himmel. Von meinem Zimmer aus konnte ich das Raunen des Meeres hören und gelegentlich das eine oder andere Wort von ihnen, das die warme salzige Brise zusammen mit dem scharfen Duft von gegrilltem Fisch zu mir heraufwehte. Am nächsten Morgen kam Cicero persönlich sehr früh in mein Zimmer,
um mich zu wecken. Ich erschrak, als ich ihn in der Garderobe vom Abend zuvor am Fußende meiner schmalen Matratze sitzen sah. Es war fast noch dunkel. Anscheinend war er noch nicht im Bett gewesen. »Zieh dich an, Tiro! Es wird Zeit, dass wir loskommen.«
Als ich mir die Schuhe anzog, erzählte er mir, was passiert war. Nach dem Essen hatte Postumia ihn unter einem Vorwand vom Tisch weggelotst und unter vier Augen gesprochen. »Sie hat mich untergehakt und gefragt, ob wir uns auf der Terrasse nicht ein bisschen die Beine vertreten sollten. Einen Augenblick lang habe ich gedacht, sie will mir Caesars frei gewordenen Platz in ihrem Bett anbieten. Na ja, sie war ein bisschen betrunken, und ihr Kleid stand praktisch bis zu den Knien offen. Aber das war es nicht. Ihre Gefühle für Caesar haben einen ziemlichen Temperatursturz erlitten: von heißer Lust zu eiskaltem Hass. Sie wollte ihn verraten. Sie sagt, Caesar und Servilia seien wie füreinander gemacht: ›Zwei kältere Kreaturen hat die Welt noch nicht gesehen.‹ Und sie sagt, jetzt zitiere ich die hochnoble Dame nochmals wörtlich: ›Servilia will sich Frau des Konsuls nennen, und Caesar will sie vögeln, die Frauen der Konsuln. Ein perfektes Pärchen, oder? Glaub kein Wort von dem, was mein Mann dir erzählt. Caesar wird alles tun, um Silanus zum Sieg zu verhelfen.‹«
»Was ist daran so schlimm?« Ich war noch nicht ganz wach, was die dumme Frage etwas entschuldigte. »Ihr habt doch immer gesagt, Silanus ist dumm, aber angesehen, ideal für ein hohes Amt.«
»Ich will, dass er gewinnt, du Schwachkopf! Und die Patrizier auch, und Caesar jetzt anscheinend auch. Das heißt: Silanus ist durch. Der wahre Kampf findet um das zweite Konsulat statt – und das wird sich, wenn wir nicht sehr genau aufpassen, Catilina schnappen.«
»Aber Servius ist so selbstsicher …«
»Nicht selbstsicher – selbstzufrieden, und genau so will Caesar ihn ja.«
Ich spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht. Langsam wurde ich wach. Cicero war schon fast wieder draußen.
»Darf ich fragen, wohin wir fahren?«, rief ich.
»Nach Süden«, sagte er, wobei er sich halb umdrehte. »Bucht von Neapel, wir besuchen Lucullus.«
Terentia schlief noch, als wir uns auf den Weg machten, er hinterließ ihr eine Nachricht. Wir fuhren schnell und, um nicht erkannt zu werden, in einer geschlossenen Kutsche – eine unerlässliche
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