02 Titan
in deiner Schuld.«
»Aber was soll ich es jetzt tun?«, sagte sie unter Tränen. Ciceros Lob hatte sie wieder aus dem Gleichgewicht gebracht. Terentia gab ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich die Augen abtupfte. »Nach all dem kann ich nicht mehr zu Curius zurück.«
»Du musst«, sagte Cicero. »Du bist meine einzige Informationsquelle.«
»Wenn Catilina herausfindet, dass ich seine Pläne an dich verraten habe, dann tötet er mich.«
»Das wird er nie erfahren.«
»Und mein Mann? Meine Kinder? Was sage ich ihnen? Sich mit einem anderen Mann einzulassen ist schon schlimm genug, aber mit einem Verräter?«
»Wenn sie über deine Beweggründe Bescheid wüssten, würden sie dich verstehen. Betrachte es als Buße. Es ist von
größter Bedeutung, dass du so tust, als wäre nichts geschehen. Hol aus Curius heraus, was immer du kannst. Lock ihn aus der Reserve. Bestärke ihn, wenn nötig. Auf keinen Fall darfst du noch einmal hierherkommen, das ist viel zu gefährlich für dich. Gib alles, was du erfährst, an Terentia weiter. Auf dem Tempelgelände könnt ihr euch jederzeit treffen und ungestört miteinander reden, ohne dass jemand misstrauisch wird.«
Natürlich zögerte sie, sich in dieses Netz aus Verrat und Betrug verstricken zu lassen. Aber wenn Cicero es darauf anlegte, dann konnte er jeden dazu überreden, alles zu tun. Und als er ihr dann noch versprach, so weit als menschenmöglich Milde gegenüber ihrem Liebhaber walten zu lassen – ohne jedoch Curius ausdrücklich Immunität zuzusichern –, kapitulierte sie. Und so kam es, dass die Dame das Haus als seine Spionin verließ, und Cicero selbst sich daranmachte, einen Plan zu entwerfen.
KAPITEL VI
A nfang April verabschiedete sich der Senat in die Frühjahrspause. Die Liktoren wechselten wieder zu Hybrida, und Cicero hielt es für sicherer, die sitzungsfreie Zeit mit seiner Familie am Meer zu verbringen. Während die meisten anderen hohen Beamten für die Theatersaison in Rom blieben, machten wir uns bei Tagesanbruch auf den Weg und fuhren, begleitet von einer Leibwache aus Rittern, auf der Via Appia nach Süden. Ich schätze, dass unser Tross etwa dreißig Personen umfasste. Cicero machte es sich auf den Polstern seiner offenen Kutsche bequem, wo er sich von Sositheus vorlesen ließ oder mir Briefe diktierte. Der kleine Marcus ritt auf einem Maulesel, der von einem Sklaven geführt wurde. Terentia und Tullia reisten jeweils in ihren eigenen, von Sklaven getragenen Sänften. Die Träger waren mit Messern bewaffnet, die sie unter der Kleidung versteckt hatten. Jedes Mal wenn uns eine Gruppe Männer überholte, hatte ich Angst, dass es sich um Attentäter handeln könnte, und als wir nach einem anstrengenden Reisetag in der Abenddämmerung das Sumpfgebiet der Pontinischen Ebene erreichten, war ich mit den Nerven ziemlich am Ende. Wir verbrachten die Nacht in Tres Tabernae, wo mir das Quaken der Seefrösche, der Gestank des brackigen Wassers und das unablässige Surren der Stechmücken den Schlaf raubten.
Am nächsten Morgen setzten wir die Reise per Schleppkahn
fort. Cicero saß wie auf einem Thron mit geschlossenen Augen im Bug und hielt sein Gesicht in die warme Frühlingssonne. Nach dem Lärm auf der vielbefahrenen Straße herrschte auf dem Kanal völlige Stille, das einzige Geräusch war das Klappern der Pferdehufe auf dem Treidelpfad. Es war höchst ungewöhnlich, dass Cicero nichts arbeitete. Beim nächsten Halt wartete ein Korb voller offizieller Post auf uns, aber als ich sie ihm geben wollte, winkte er mich weg. Das gleiche Spiel, als wir seine Villa in Formiae erreichten. Das Anwesen hatte er ein paar Jahre zuvor gekauft – ein stattliches Haus an der Küste mit Blick auf das Mittelmeer und einer großen Terrasse, wo er gewöhnlich schrieb oder seine Reden einstudierte. Doch während der ganzen ersten Woche tat er nichts anderes als mit seinen Kindern zu spielen, mit ihnen Makrelen zu angeln und die Wellen zu zählen, die auf den kleinen Strand unterhalb einer niedrigen Steinmauer klatschten. Angesichts der schwerwiegenden Probleme, die er zu lösen hatte, hat mich sein Verhalten damals sehr irritiert. Jetzt weiß ich natürlich, dass er doch arbeitete, nur eben wie ein Poet: Er schaltete vollkommen ab und hoffte auf Inspiration.
Zu Beginn der zweiten Woche kam Servius Sulpicius in Begleitung von Postumia zum Essen. Er besaß eine Villa auf der anderen Seite der Bucht, in Caieta. Seit der Enthüllung der Affäre seiner Frau mit Caesar
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