02 Titan
Lebemann namens Vettius, der bei ihr abgeblitzt war, hatte ein ziemlich gutes Wortspiel in Umlauf gebracht: In triclinio coa, in cubicolo nola (Im Speisezimmer eine Hure, im Schlafzimmer eine Nonne). Was zur Folge hatte, dass zwei ihrer anderen Verehrer, Marcus Camurtius und Marcus Caesernius, in ihrem Auftrag Rache übten: Sie verprügelten ihn erst, und dann, damit die Bestrafung auch zu seinem Verbrechen passte, vögelten sie ihn anal halb zu Tode.
Man könnte meinen, dass Cicero diese Welt völlig fremd war, und doch war sie ein Teil seines Charakters – sagen wir, zu einem Viertel. Auch wenn die anderen drei Viertel im Senat gegen die losen Sitten wetterten, so fühlte sich das
eine Viertel doch unwiderstehlich hingezogen zu Ausschweifung und Frevelhaftem. Vielleicht lag das an seiner Schauspielerader, in der Gesellschaft von Theaterleuten hatte er sich nämlich schon immer wohlgefühlt. Er mochte auch durchtriebene Menschen, und niemand konnte behaupten, dass Clodia nicht durchtrieben war. Wie auch immer, jedenfalls genoss jeder die Gesellschaft des anderen sehr, und als Clodia ihm einen ihrer kuhäugigen Seitenblicke zuwarf und ihn mit ihrer dunklen Stimme fragte, ob es irgendetwas gebe, ganz egal, was, das sie während der Abwesenheit ihres Mannes für ihn tun könne, da sagte Cicero, dass es da tatsächlich etwas gebe: Er würde gern ein privates Wort mit ihrem Bruder wechseln.
»Appius oder Gaius?«, fragte sie in der Annahme, es müsse sich um einen ihrer beiden älteren Brüder handeln, von denen jeder so streng, humorlos und ehrgeizig war wie der andere.
»Weder – noch. Ich würde gern mit Publius sprechen.«
»Mit Publius, dem Schlimmen! Mein Lieblingsbruder!« Sie schickte sofort einen Sklaven nach ihm, zweifellos in die Spielhölle oder das Bordell, welche oder welches er gerade zu seinem liebsten Tummelplatz erkoren hatte. Während sie auf sein Eintreffen warteten, schlenderten Clodia und Cicero durch das Atrium und studierten die Totenmasken der Konsuln unter Celers Vorfahren. Ich zog mich geräuschlos in eine Ecke zurück, wo ich zwar von ihren Gesprächen nichts mitbekam, aber doch ihr Lachen hören konnte. Ich begriff, dass die Quelle ihrer Belustigung die gefrorenen, wächsernen Gesichter von Generationen von Metelli waren – die, zugegebenermaßen, für ihre Dummheit berühmt waren. Schließlich stürmte Clodius ins Haus, vollführte – so mein Eindruck – eine ironisch tiefe Verbeugung vor dem Konsul, küsste dann seine Schwester auf den Mund und legte ihr einen Arm um die Hüfte. Er war über ein Jahr in Gallien
gewesen, hatte sich aber kaum verändert, er war immer noch so schön wie eine Frau. Sein dichtes goldenes Haar war gelockt, er trug weite Kleidung, und sein schlaffer Blick auf die Welt war immer noch voller Herablassung. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, ob er und Clodia Geliebte waren oder ob sie nur ihren Spaß daran hatten, die ehrenwerte Gesellschaft zu schockieren. Später erfuhr ich, dass Clodius in der Öffentlichkeit mit seinen beiden anderen Schwestern genauso auftrat. Lucullus hatte die Inzestgerüchte sicher geglaubt.
Falls Cicero schockiert war, so hat er es sich jedenfalls nicht anmerken lassen. Mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen fragte er Clodia, ob sie gestatte, dass er mit ihrem jüngeren Bruder unter vier Augen sprechen könne. »Na, meinetwegen«, sagte sie mit gespieltem Widerstreben, »wenngleich ich ziemlich eifersüchtig bin«, und nach einem langen koketten Händedruck verschwand sie im Innern des großen Hauses und ließ uns drei allein. Cicero und Clodius tauschten ein paar höfliche Floskeln über Gallia Transalpina und die Beschwerlichkeiten der Reise über die Alpen aus, dann fragte Cicero direkt: »Ist es wahr, Clodius, dass Murena Konsul werden will?«
»Ja.«
»Dann stimmt es also, was man sich erzählt. Ich muss gestehen, dass ich etwas überrascht war. Wie will er das schaffen?«
»Das sollte nicht zu schwer sein. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.«
»Ach ja? Macht es dir etwas aus, mir eine davon zu nennen?«
»Loyalität. Das Volk erinnert sich noch gut an die freigebigen Spiele, die er vor seiner Wahl zum Prätor veranstaltet hat.«
»Vor seiner Wahl zum Prätor? Mein lieber Freund, das ist
drei Jahre her! In der Politik gehören drei Jahre alte Vorkommnisse zur grauen Vorzeit! Glaub mir, hier erinnert sich kein Mensch mehr an Murena. Für Rom gilt: aus den Augen, aus dem Sinn. Ich frage dich noch
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