02 Titan
Momenten sind Mann und Frau nicht allein.«
Als ich dann bei Morgengrauen erwachte, war sie verschwunden.
Bist du jetzt überrascht, geneigter Leser? Ich weiß noch, dass ich selbst überrascht war. Nach so vielen Jahren der Keuschheit hatte ich es aufgegeben, an so etwas auch nur zu denken, und gab mich zufrieden damit, diese Dinge den Dichtern zu überlassen: »Was ist Leben, was ist Glück, ohne die goldene Aphrodite?« Die Worte zu kennen war eine Sache. Ich hatte nicht damit gerechnet, auch einmal ihre Bedeutung kennenzulernen.
Ich hatte gehofft, wenigstens noch eine weitere Nacht bleiben zu können, doch am nächsten Morgen verkündete Cicero, dass wir fahren würden. Geheimhaltung war lebenswichtig für seine Pläne, und je länger er sich in Misenum aufhielt, desto mehr fürchtete er, dass seine Anwesenheit bekanntwerden würde. Nach einer letzten kurzen Unterredung mit Lucullus stiegen wir in die geschlossene Kutsche und machten uns auf den Weg. Als wir zu der Küstenstraße hinunterfuhren, schaute ich noch einmal zurück zum Haus. Ich sah viele Sklaven, die in den Gärten arbeiteten und sich zwischen den verschiedenen Gebäuden des großen Anwesens hin und her bewegten und die Vorbereitungen für einen weiteren perfekten Frühlingstag trafen. Auch Cicero hatte sich umgedreht und schaute noch einmal zurück.
»Da protzen sie mit ihrem Reichtum«, brummte er, »und
dann wundern sie sich, warum sie so verhasst sind. Wenn man bedenkt, wie Lucullus, der Mithridates noch nicht einmal selbst besiegt hat, so unfassbar reich geworden ist, kannst du dir dann vorstellen, wie unermesslich reich erst Pompeius sein muss?«
Ich konnte es nicht, und ich wollte es auch nicht. Es war zum Kotzen. Nie zuvor war mir die Sinnlosigkeit der Anhäufung von Reichtümern um ihrer selbst willen so klar gewesen wie an jenem warmen blauen Frühlingsmorgen, als Lucullus’ Villa hinter mir in der Ferne verschwand.
Jetzt, da seine Strategie feststand, wollte Cicero sie so schnell wie möglich in die Tat umsetzen, und dafür mussten wir zurück nach Rom. Für ihn waren die Ferien vorbei. Wir hatten die Villa am Strand von Formiae in der Abenddämmerung erreicht, waren über Nacht geblieben und bei Tagesanbruch weitergefahren. Sollte Terentia sich darüber geärgert haben, dass er sie und die Kinder vernachlässigte, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Sie wusste, dass er ohne sie und die Kinder schneller reisen konnte. An den Iden des April trafen wir wieder in Rom ein, und Cicero machte sich sofort daran, heimlich Verbindung zu Murena aufzunehmen. Der Statthalter hielt sich zwar noch in seiner Provinz Gallia Transalpina auf, aber es stellte sich heraus, dass er bereits Clodius nach Rom geschickt hatte, um den Wahlkampf vorzubereiten. Cicero überlegte hin und her, wie er weiter vorgehen solle, denn erstens hatte er zu Clodius kein Vertrauen und zweitens wollte er Caesar und Catilina nicht warnen, indem er einfach zu Clodius’ Haus ging. Schließlich entschied er sich, den Kontakt zu Clodius über dessen Schwager herzustellen, den Augur Quintus Caecilius Metellus Celer, was ein denkwürdiges Treffen zur Folge hatte.
Celer wohnte auf dem Palatin ganz in der Nähe von Catulus, am Clivus Victoriae, einer Straße mit eleganten Häusern,
allesamt mit Blick auf das Forum. Cicero hatte sich überlegt, dass es niemanden wundern würde, wenn ein Konsul einem Prätor einen Besuch abstattete. Als wir die Villa betraten, mussten wir jedoch feststellen, dass der Hausherr auf der Jagd war. Nur seine Frau war zu Hause, und sie war es auch, die uns zusammen mit ein paar Dienstmädchen begrüßte. Soweit ich weiß, war dies das erste Mal, dass Cicero und Clodia sich begegneten, und ich weiß auch noch, dass ihre Schönheit und Klugheit einen nachhaltigen Eindruck auf ihn machten. Sie war etwa dreißig Jahre alt und berühmt für ihre großen dunklen Augen mit den langen Wimpern, die sie wirkungsvoll einzusetzen wusste, wenn sie den Männern kokette Seitenblicke zuwarf oder sie verlockend lasziv anstarrte. Cicero pflegte sie »die Kuhäugige« zu nennen. Sie hatte einen ausdrucksstarken Mund und eine einschmeichelnde Stimme, wie gemacht für Klatschgeschichten. Wie ihr Bruder pflegte sie mit einem affektiert-vornehmen »städtischen« Akzent zu sprechen. Doch wehe dem Mann, der versuchte, zu vertraulich zu werden – sie konnte sich binnen eines Augenblicks in einen echten Claudier verwandeln und hochfahrend, rücksichtslos, grausam werden. Ein
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