02 Titan
die richtigen Senatoren unterwiesen werden, was Cicero vor der Nachmittagssitzung während der Deutung der Auspizien erledigte. Inzwischen gingen überall in der Stadt Gerüchte
über eine Rebellenattacke und eine Verschwörung zur Ermordung der führenden Beamten des Staates um. Catulus, Isauricus, Hortensius, die Lucullus-Brüder, Silanus, Murena und sogar Cato, der jetzt wie Nepos designierter Volkstribun war, wurden von Cicero einzeln beiseitegenommen und im Flüsterton instruiert. In diesen Minuten glich Cicero einem ausgefuchsten Teppichhändler auf einem überfüllten Basar, der verstohlen erst seinem Kunden über die Schulter blickt und dann nach hinten über die eigene Schulter schaut, dabei die ganze Zeit leise redet, beschwörend die Hände hebt und auf den Abschluss des Handels drängt. Aus einiger Entfernung wurde er von Caesar beobachtet, den wiederum ich beobachtete, ohne jedoch auch nur die geringste Regung in seinem Gesicht feststellen zu können. Von Catilina war nichts zu sehen.
Als die Senatoren bei Sitzungsbeginn in den Saal strömten, setzte sich Cicero – wie immer in den Monaten, wenn er nicht der präsidierende Konsul war – ans Ende der vorderen Bank, wo er dem Podium des Konsuls am nächsten war. An seiner anderen Seite saß Catulus. Von diesem Platz aus konnte Cicero üblicherweise auch in jenen Monaten, wo nicht er selbst, sondern Hybrida den Vorsitz innehatte, durch Nicken und Augenzwinkern oder ein gelegentlich geflüstertes Wort den Ablauf einer Sitzung steuern. Fairerweise muss man sagen, dass Hybrida fast immer glaubwürdig wirkte, wenn er einen vorbereiteten Text vorzutragen hatte – so auch an jenem Tag. Die breiten Schultern durchgedrückt und den edlen Kopf leicht zurückgeneigt, verkündete er mit seiner in reichlich Wein eingelegten Stimme, dass die öffentliche Lage sich in der vergangenen Nacht radikal verändert habe, und forderte dann Arrius auf, eine Erklärung vorzutragen.
Arrius gehörte zu jenen Senatoren, die nicht oft das Wort ergriffen, denen man aber, wenn sie es taten, respektvoll zuhörte.
Warum, weiß ich nicht. Vielleicht verlieh ihm der skurrile Klang seiner Stimme eine eigentümliche Ernsthaftigkeit. Er stand auf und gab einen umfassenden Bericht dessen, was er in der Provinz erlebt hatte: dass Manlius in Etrurien bewaffnete Banden rekrutierte, deren Stärke schon bald auf bis zu zehntausend Mann anschwellen könnte; dass sie seines Wissens nach planten, Praeneste anzugreifen; dass selbst die Sicherheit Roms bedroht sei; dass ähnliche Aufstände in Apulia und Capua in Vorbereitung seien. Als er seinen Platz wieder einnahm, war unter den Senatoren zunehmende Panik spürbar. Hybrida dankte Arrius und forderte dann Crassus, Marcellus und Scipio auf, die Briefe vorzulesen, die sie am Abend zuvor erhalten hatten. Er reichte die Briefe einigen Dienern, die sie an ihre ursprünglichen Empfänger weitergaben. Crassus erhob sich als Erster. Er schilderte die geheimnisvolle Auslieferung der Warnungen und wie er daraufhin mit seinen Gästen sofort zu Cicero geeilt sei. Dann las er mit fester, klarer Stimme den Brief vor: »Die Zeit der Worte ist vorüber. Die Zeit des Handelns ist gekommen. Catilina hat seine Planungen abgeschlossen. Er möchte dich warnen: Es wird Blut fließen in Rom. Rette dich, und verlasse heimlich die Stadt. Wenn eine sichere Rückkehr möglich ist, wird man dir Bescheid geben.«
Man kann sich leicht ausmalen, dass die Wirkung dieser von Crassus feierlich und dann von Scipio und Marcellus mit etwas nervöserer Stimme vorgetragenen Worte immer größer wurde. Der Schock saß umso tiefer, als jeder wusste, dass Crassus Catilina nicht nur einmal, sondern zweimal bei dessen Bemühungen ums Konsulat unterstützt hatte. Erst herrschte tiefes Schweigen, dann rief jemand: »Wo ist er?« Andere meldeten sich ebenfalls lautstark zu Wort. »Wo ist er? Wo ist er?« Cicero nutzte den Tumult und flüsterte Catulus etwas ins Ohr, worauf der alte Patrizier das Wort ergriff.
»Angesichts der beängstigenden Nachrichten, die das
Haus gerade erhalten hat, und in Übereinstimmung mit den althergebrachten Privilegien dieser Kammer«, erklärte Catulus, »stelle ich den Antrag, die Konsuln zu ermächtigen, unter den Bestimmungen des Notstandsrechts alle notwendigen Maßnahmen zur Verteidigung des Reiches zu ergreifen. Unter anderen gehört zu diesen Maßnahmen das Recht, Truppen aufzustellen und Krieg zu führen, die uneingeschränkte Gewalt über Verbündete
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