02 Titan
und traten in den Torweg des Nachbarhauses, das leer stand. Fenster und Haustür waren mit Brettern vernagelt. Hier würde er warten, er wolle nicht gesehen werden, sagte er, ich solle allein zu Celers Haus gehen und dem Prätor ausrichten lassen, dass der Konsul ihn allein und streng vertraulich zu sprechen wünsche. Ich tat wie befohlen, und Celers Hausverwalter kam umgehend mit der Antwort zurück, dass sein Herr uns treffen
werde, sobald er sich von seinem morgendlichen Klientenempfang absetzen könne. Als ich zu Cicero zurückkam, unterhielt er sich gerade mit dem Wachmann des leeren Hauses. »Das Haus gehört Crassus«, sagte er, als wir das Grundstück verließen. »Nicht zu fassen. Es ist ein Vermögen wert, aber er lässt es leer stehen, weil er glaubt, dass er im nächsten Jahr einen besseren Preis dafür bekommt. Kein Wunder, dass er keinen Bürgerkrieg will – schlecht fürs Geschäft.«
Ein Diener führte uns durch eine Gasse zwischen den beiden Häusern, ließ uns durch den Hintereingang ein und führte uns direkt in den Wohnbereich der Familie. Dort wartete schon Celers Frau Clodia, um Cicero zu begrüßen. Sie trug einen verführerischen Seidenumhang über ihrem Nachtgewand und verströmte noch den moschusartigen Duft der Schlafgemächer. »Als man mir deinen heimlichen Besuch meldete, hatte ich gehofft, du kämst wegen mir durch die Hintertür«, sagte sie vorwurfsvoll und musterte ihn mit ihren verschlafenen bernsteinfarbenen Augen. »Und dann musste ich hören, dass du nur meinen Gatten sprechen willst. Wie sterbenslangweilig.«
»Verglichen mit dir, fürchte ich, ist jedes menschliche Wesen sterbenslangweilig«, sagte Cicero und beugte sich vor, um ihre Hand zu küssen. »Und seien wir auch noch so redegewandt, vor dir schrumpfen wir alle zu stammelnden Trotteln.«
Seine Lebensgeister waren wieder erwacht, sonst hätte er nicht die Energie aufgebracht, so mit ihr zu schäkern. Die Berührung zwischen seinen Lippen und ihrer Haut erschien mir länger als nötig. Was für ein Anblick: Der große und prüde Redner beugte sich über die Hand des vornehmsten Flittchens von ganz Rom! Es schoss mir sogar der wilde, fantastische, unglaubliche Gedanke durch den Kopf, dass er für diese Frau eines Tages Terentia verlassen könnte. Ich war sehr erleichtert, als Celer auf seine gewohnt kernig militärische
Art ins Zimmer gestürmt kam und es mit der intimen Atmosphäre schlagartig vorbei war.
»Guten Morgen, Konsul! Was kann ich für dich tun?«
»Du kannst eine Armee aufstellen und damit dein Vaterland retten.«
»Eine Armee? Guter Witz!« Doch dann sah er, dass Cicero nicht lächelte. »Was redest du da?«
»Die Krise, die ich so lange vorausgesagt habe, ist nun eingetreten. Tiro, zeig dem Prätor den Brief, den Crassus erhalten hat.« Ich gab Celer den Brief und sah, wie sich dessen Gesicht beim Lesen verhärtete.
»Den hat Crassus bekommen?«
»Das sagt er jedenfalls. Und die hier hat er gestern Abend auch erhalten, und zwar zusammen mit der Anweisung, sie weiterzugeben.« Er gab mir ein Zeichen, und ich reichte Celer das Bündel Briefe. Celer las ein paar der Briefe und verglich sie dann. Als er fertig war, nahm Clodia ihm die Briefe aus der Hand und studierte sie ebenfalls. Er machte keine Anstalten, sie daran zu hindern. Ich prägte mir fest ins Gedächtnis ein, dass sie in all seine Geheimnisse eingeweiht war. »Das ist noch nicht alles«, fuhr Cicero fort. »Laut Quintus Arrius wimmelt es in Etrurien von Catilinas Männern. Manlius stellt eine Rebellenarmee von der Schlagkraft zweier Legionen auf. Sie planen, Praeneste einzunehmen und dann auf Rom zu marschieren. Ich will, dass du das Kommando über unsere Verteidigungstruppen übernimmst. Wenn wir sie aufhalten wollen, solltest du schnell handeln.«
»Was meinst du mit schnell?
»Dass du noch heute aus der Stadt ausrücken musst.«
»Aber ich habe keine Befugnisse …«
»Die besorge ich dir.«
»Einen Moment, Konsul. Es gibt da noch ein paar Dinge, über die ich nachdenken müsste, bevor ich Truppen aufstelle und da draußen die Landschaft umpflüge.«
»Zum Beispiel?«
»Nun ja, erstens muss ich mich natürlich mit meinem Bruder Nepos beraten. Und dann ist da noch mein anderer Bruder, mein angeheirateter Bruder, Pompeius, den ich …«
»Für all das bleibt uns jetzt keine Zeit mehr! Wenn jetzt jeder anfängt, zuerst an seine Familie und dann erst an sein Land zu denken, dann erreichen wir gar nichts! Hör zu, Celer« , sagte
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