02 Titan
war so verärgert, dass er sie in den Keller sperren ließ. Wir machten es uns im Obergeschoss bequem, von da hatten wir freie Sicht auf die Straße. Der Plan war, alle Reisenden, egal, aus welcher Richtung, auf die Brücke zu lassen, um sie am anderen Ende aufzuhalten und zu verhören, bevor sie die Brücke passieren durften. Stunde um Stunde verging, nicht eine Menschenseele tauchte auf, und ich kam immer mehr zu der Überzeugung, dass man uns hereingelegt hatte. Entweder gab es gar keine Gallierabordnung, die in dieser Nacht die Stadt verlassen wollte, oder sie war schon aufgebrochen, oder sie hatte eine andere Route genommen. Ich teilte Flaccus meine Zweifel mit, aber der schüttelte nur seinen grauen Haarschopf. »Die kommen«, sagte er, und als ich ihn fragte, was ihn so sichermache, antwortete er: »Weil Rom unter dem Schutz der Götter steht.« Dann faltete er die Hände über seinem ausladenden Bauch und schlief ein.
Schließlich musste ich selbst eingedöst sein. Jedenfalls ist das Nächste, woran ich mich erinnere, eine Hand, die sich auf meine Schulter legte, und eine Stimme, die mir ins Ohr flüsterte, dass Männer auf der Brücke seien. Bevor meine Augen in der Dunkelheit etwas erkennen konnten, hörte ich Hufgetrappel, und erst dann sah ich Umrisse von Reitern – fünf, zehn oder noch mehr Männer, die in gemächlichem Tempo die Brücke überquerten. »Es geht los!«, sagte Flaccus, drückte sich den Helm auf den Kopf und stürmte mit einer für seinen Leibesumfang erstaunlichen Geschwindigkeit – drei Stufen auf einmal nehmend – die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße. Während ich hinter ihm her hastete, hörte ich Pfeifengetriller und das Signal einer Trompete, und von allen Seiten tauchten Legionäre mit gezückten Schwertern auf, einige auch mit Fackeln, und
strömten auf die Brücke. Die ihnen entgegenkommenden Pferde scheuten und blieben stehen. Einer der Reiter schrie den anderen zu, dass sie sich durchkämpfen müssten, gab seinem Pferd die Sporen und hielt genau auf mich zu, wobei er sein Schwert zu beiden Seiten durch die Luft sausen ließ. Der Soldat neben mir sprang vor, packte die Zügel des Angreifers, und im nächsten Augenblick wurde, wie ich verblüfft sah, seine ausgestreckte Hand sauber abgetrennt und fiel direkt vor meinen Füßen auf den Boden. Der Mann heulte auf, während gleichzeitig der Reiter erkannte, dass wir zu viele waren und er den Durchbruch nicht schaffen würde, so dass er sein Pferd herumriss und wieder zurückpreschte. Er brüllte den anderen zu, ihm zu folgen, worauf die gesamte Gruppe kehrtmachte und in Richtung Rom zu entkommen versuchte. Inzwischen besetzten jedoch Pomptinus’ Leute den anderen Zugang zur Brücke. Wir sahen ihre Fackeln, hörten ihr wildes Gebrüll und machten uns an die Verfolgung der Fliehenden – sogar ich vergaß meine Angst vollständig, weil ich nur daran denken konnte, die Briefe zu erwischen, bevor sie im Fluss landeten.
Als wir die Mitte der Brücke erreicht hatten, war der Kampf schon fast vorüber. Die an ihren langen Haaren und Bärten und ihrem wilden Aufzug sofort erkennbaren Gallier warfen die Waffen zu Boden und stiegen von den Pferden. Sie mussten mit einem Hinterhalt gerechnet haben. Schließlich saß nur noch der ungestüme Reiter, der versucht hatte, unsere Reihen zu durchbrechen, im Sattel und stachelte seine Kameraden auf, etwas Widerstand zu zeigen. Wie sich herausstellte, waren die anderen Sklaven, denen der Elan für einen Kampf natürlich fehlte: Sie wussten, dass sie am Kreuz landen würden, sollten sie auch nur die Hand gegen einen Römer erheben. Einer nach dem anderen ergab sich. Schließlich warf auch ihr Anführer sein blutverschmiertes Schwert auf den Boden. Dann beugte er sich vor und
fing an, hastig die Gurte an seinen Satteltaschen zu lösen, worauf ich selten geistesgegenwärtig auf ihn zustürzte und die Tasche packte. Er war jung und sehr kräftig und hätte es auch geschafft, mir die Tasche zu entreißen und sie in den Fluss zu schleudern, hätten nicht andere bereitwillig eingegriffen und ihn vom Pferd gezerrt – wahrscheinlich Freunde des Soldaten, dessen Hand er abgehackt hatte, denn sie traten wild auf ihn ein und ließen erst von ihm ab, als es sogar Flaccus zu viel wurde und er ihnen befahl aufzuhören. Sie rissen ihn an den Haaren in die Höhe, und Pomptinus erkannte den Mann als Titus Volturcius, einen Ritter aus der Stadt Croton. Inzwischen hatte ich die Tasche an mich
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