02 - Winnetou II
werde.“
Es zeigte sich so, wie ich vermutet hatte. Wir befanden uns in einem kleinen, fast kreisrunden Talkessel, dessen Breite man sehr leicht in fünf Minuten durchlaufen konnte. Er hatte einen Eingang, durch welchen wir gekommen waren, und einen Ausgang, welcher ebenso schmal wie der vorige war. Da hinaus waren die Kundschafter geschickt worden. In der Mitte des Tales befand sich das Comanchenlager. Die Wände des kleinen Kessels bestanden aus Fels, welcher steil anstieg und die Gewähr zu geben schien, daß niemand da weder hinauf noch herab könne. Wir waren rundum gegangen und an den Posten vorübergekommen, welche sowohl am Ein- als auch am Ausgang standen. Jetzt näherten wir uns dem Lager wieder.
„Fatal!“ brummte der Alte. „Wir stecken ganz richtig in der Falle, und es will mir kein Gedanke kommen, wie man sich da losmachen könne. Müßten es machen wie der Fuchs, der sich das Bein wegbeißt, mit dem er in das Eisen getappt ist.“
„Könnten wir den ‚Weißen Biber‘ nicht so weit bringen, daß er das Lager sofort verläßt, um ein anderes aufzusuchen?“
„Das wäre das einzige, was wir versuchen könnten. Aber ich glaube nicht, daß er darauf eingeht, ohne daß wir ihm sagen, daß er zwei Apachen bei sich hat. Und das wollen wir absolut vermeiden.“
„Vielleicht seht Ihr zu schwarz, Sir. Vielleicht sind wir hier ganz sicher. Die beiden Punkte, durch welche man herein kann, sind ja mehr als zur Genüge mit Wachen besetzt.“
„Ja, zehn Mann hüben und zehn Mann drüben, das sieht ganz gut aus. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir es mit einem Winnetou zu tun haben. Wie der sonst so kluge und vorsichtige ‚Weiße Biber‘ auf den dummen Gedanken gekommen ist, sich grad in so einem eingeschlossenen Tal festzusetzen, das ist ein Rätsel. Die beiden Apachenkundschafter müssen ihm ein ganz gewaltiges X für das richtige U aufs Kamisol geschrieben haben. Ich werde mit ihm sprechen. Sollte er bei seiner Meinung bleiben und es passiert etwas, so halten wir uns möglichst neutral. Wir sind Freunde der Comanchen, müssen uns aber auch hüten, einen Apachen zu töten. Na, da haben wir das Lager, und dort steht der Häuptling. Kommt mit hin zu ihm!“
Man erkannte gegen das Feuer hin den ‚Weißen Biber‘ an seinen Adlerfedern. Als wir zu ihm traten, fragte er:
„Hat mein weißer Bruder sich überzeugt, daß wir uns in Sicherheit befinden?“
„Nein“, antwortete der Alte.
„Was hat er an diesem Ort auszusetzen?“
„Daß er einer Falle gleicht, in der wir alle stecken.“
„Mein roter Bruder irrt sich sehr. Dieses Tal ist keine Falle, sondern es gleicht ganz genau einem solchen Ort, den die Bleichgesichter Fort nennen. Es kann kein Feind herein.“
„Ja, zu den Eingängen vielleicht nicht, denn dieselben sind so eng, daß sie durch zehn Krieger leicht verteidigt werden können. Aber können die Apachen nicht an den Höhen herabsteigen?“
„Nein. Sie sind zu steil.“
„Hat mein roter Bruder sich hiervon überzeugt?“
„Sehr genau. Die Söhne der Comanchen sind am hellen Tage hierher gekommen. Sie haben alles untersucht. Sie haben die Probe gemacht, an dem Fels empor zu klettern; es ist ihnen aber nicht gelungen.“
„Vielleicht ist es leichter, von oben herab als von unten hinauf zu kommen. Ich weiß, daß Winnetou klettern kann wie das wilde Dickhornschaf der Berge.“
„Winnetou ist nicht hier. Die beiden Topias haben es mir gesagt.“
„Vielleicht haben sie sich geirrt; sie haben es vielleicht von jemand erfahren, der es selbst nicht genau wußte.“
„Sie haben es gesagt. Sie sind Feinde Winnetous, und ich glaube ihnen.“
„Aber, wenn es wahr ist, daß Winnetou auf Fort Inge war, so kann er nicht schon hier gewesen sein, seine Krieger gesammelt haben und sich bereits jenseits des Rio Conchos befinden. Mein Bruder möge die kurze Zeit mit dem langen Wege vergleichen.“
Der Häuptling senkte nachdenkend das Haupt. Er schien zu einem Resultat gekommen zu sein, welches mit der Meinung des Scout übereinstimmte, denn er sagte:
„Ja, die Zeit war kurz, und der Weg ist lang. Wir wollen die Topias noch einmal fragen.“
Er ging nach dem Lagerfeuer, und wir folgten ihm. Die Weißen blickten uns finster entgegen. Seitwärts von ihnen saßen Lange, sein Sohn und der Neger Sam. William Ohlert schrieb auf sein Blatt, taub und blind für alles andere. Die vermeintlichen Topias blickten erst auf, als der Häuptling das Wort an sie richtete:
„Wissen meine
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