02 - Winnetou II
Brüder ganz genau, daß – – –“
Er hielt inne. Von der Höhe des Felsens erklang das ängstliche Kreischen eines kleinen Vogels und gleich darauf der gierige Schrei einer Eule. Der Häuptling lauschte, Old Death auch. Als ob er damit spielen wolle, ergriff Gibson einen neben ihm liegenden Ast und stieß mit demselben in das Feuer, daß es einmal kurz und scharf aufflackerte. Er wollte es zum zweitenmal tun, wobei die Augen sämtlicher Weisen befriedigt auf ihn gerichtet waren; da aber tat Old Death einen Sprung auf ihn, riß ihm den Ast aus der Hand und rief drohend:
„Das laßt bleiben, Sir! Wir müssen es uns verbitten!“
„Warum?“ fragte Gibson zornig. „Darf man nicht einmal das Feuer schüren?“
„Nein. Wenn da oben die Eule schreit, so antwortet man nicht hier unten mit diesem vorher verabredeten Zeichen.“
„Ein Zeichen? Seid Ihr denn toll?“
„Ja, ich bin so toll, daß ich einen jeden, der es wagt, noch einmal in dieser Weise in das Feuer zu stoßen, sofort eine Kugel durch den Kopf jagen werde!“
„Verdammt! Ihr gebärdet Euch ganz so, als ob Ihr hier der Herr wäret!“
„Der bin ich auch, und Ihr seid mein Gefangener, mit dem ich verteufelt kurzen Prozeß machen werde, wenn mir Eure Physiognomie nicht mehr gefällt. Bildet Euch ja nicht ein, daß Old Death sich von Euch täuschen läßt!“
„Das, das muß man sich bieten lassen? Müssen wir das wirklich, Señores?“
Diese Frage war an die andern gerichtet. Old Death hatte seine beiden Revolver in den Händen, ich ebenso. Im Nu standen die beiden Langes und Sam neben uns, auch mit den Revolvern. Wir hätten auf jeden geschossen, der so unvorsichtig gewesen wäre, nach seiner Waffe zu greifen. Und zum Überflusse rief der Häuptling seinen Leuten zu:
„Legt alle die Pfeile an!“
Im Nu hatten die Comanchen sich erhoben, und Dutzende von Pfeilen waren auf die Weißen gerichtet, welche inmitten der auf sie gerichteten Spitzen saßen.
„Da seht ihr es!“ lachte Old Death. „Noch schützt euch das Calumet. Man hat euch sogar die Waffen gelassen. Aber sobald ihr nur die Hand nach einem Messer streckt, ist es aus mit dem Schutz, in welchem ihr noch steht.“
Da ertönte das Gekreisch und der Eulenruf abermals, hoch, grad wie vom Himmel herab. Die Hand Gibsons zuckte, als ob er nach dem Feuer greifen wolle; aber er wagte doch nicht, es zu tun. Nun wiederholte der Häuptling seine vorher unterbrochene Frage an die Topias:
„Wissen meine Brüder ganz genau, daß Winnetou sich jenseits des Conchos befindet?“
„Ja, sie wissen es“, antwortete der Ältere.
„Sie mögen sich besinnen, bevor sie mir Antwort geben!“
„Sie irren sich nicht. Sie waren in den Büschen versteckt, als er vorüberzog, und haben ihn gesehen.“ Und nun fragte der Häuptling noch weiter und der Topia antwortete prompt. Schließlich sagte der ‚Weiße Biber‘:
„Deine Erklärung hat den Häuptling der Comanchen befriedigt. Meine weißen Brüder mögen wieder mit mir gehen!“
Diese Aufforderung war an Old Death und an mich gerichtet; aber der erstere winkte den beiden Langes, mitzukommen. Sie taten es und brachten auch Sam mit.
„Warum ruft mein Bruder auch seine andern Gefährten herbei?“ fragte der Häuptling.
„Weil ich denke, daß ich sie bald brauchen werde. Wir wollen in der Gefahr beisammenstehen.“
„Es gibt keine Gefahr.“
„Du irrst. Hat dich der Ruf der Eule nicht auch aufmerksam gemacht? Ein Mensch stieß ihn aus.“
„Der ‚Weiße Biber‘ kennt die Stimmen aller Vögel und aller Tiere. Er weiß sie zu unterscheiden von den nachgemachten Tönen aus der Kehle des Menschen. Das war eine wirkliche Eule.“
„Und Old Death weiß, daß Winnetou die Stimmen vieler Tiere so getreu und genau nachahmt, daß man sie von den wirklichen nicht zu unterscheiden vermag. Ich bitte dich, vorsichtig zu sein! Warum schlug dieses Bleichgesicht in das Feuer? Es war ein verabredetes Zeichen, welches zu geben er beauftragt war.“
„So müßte er es mit den Apachen verabredet haben, und er kann doch mit ihnen nicht zusammengetroffen sein!“
„So hat es ein anderer mit ihnen verabredet, und dieses Bleichgesicht hat den Auftrag erhalten, das Zeichen zu geben, damit der eigentliche Verräter sich durch dasselbe nicht vor euch bloßstelle.“
„Meinst du, daß wir Verräter unter uns haben? Ich glaube es nicht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, so brauchten wir die Apachen nicht zu fürchten, denn sie können nicht an
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