02 - Winnetou II
erwiesen, daß ihr Krieger von Juarez seid. Wir aber sind Freunde von Napoleon; folglich seid ihr unsere Feinde. Du fragst, wer diese vier Bleichgesichter seien, und ich sage dir: sie sind tapfere, ehrliche Krieger. Wir kannten Old Death viele Winter vorher, bevor wir eure Gesichter erblickten. Du forderst, an unserer Beratung teilnehmen zu dürfen. Ich sage dir, daß selbst Old Death nicht die Erlaubnis dazu erhalten hat. Die Krieger der Comanchen sind Männer. Sie bedürfen nicht der List der Bleichgesichter, um zu wissen, was klug oder unklug, was richtig oder falsch ist. Ich bin jetzt zu Euch getreten, um Euch zu sagen, was wir beschlossen haben. Ihr habt das ruhig anzuhören und kein Wort dazu zu sagen, denn –“
„Wir haben das Calumet mit euch geraucht“, unterbrach ihn der Offizier. „Wenn ihr uns feindselig behandelt, so –“
„Schweig, Hund!“ donnerte ihn der Häuptling an. „Du hattest jetzt eine Beleidigung auf den Lippen. Bedenke, daß Ihr von über fünfhundert Kriegern umgeben seid, welche bereit sind, dieselbe augenblicklich zu rächen! Ihr habt das Calumet nur infolge einer Täuschung, einer Lüge bekommen. Aber die Krieger der Comanchen kennen den Willen des großen Geistes. Sie achten die Gesetze, welche bei ihnen herrschen, und wissen, daß Ihr Euch noch jetzt unter dem Schutze des Calumets befindet und daß sie Euch als Freunde behandeln müssen, bis ihr aus demselben getreten seid. Rot ist der heilige Pfeifenton, aus welchem das Calumet geschnitten wird. Rot ist die Farbe des Lichtes, des Tages und der Flamme, mit welcher das Calumet in Brand gesteckt wird. Ist sie erloschen, so gilt der Friede, bis das Licht von neuem erscheint. Wenn das Licht des Tages beginnt, ist die Ruhe vorüber und unser Bund zu Ende. Bis dahin seid Ihr unsere Gäste. Dann aber wird Feindschaft sein zwischen uns und Euch. Ihr sollt hier sitzen und schlafen, und niemand wird euch berühren. Aber sobald der Tag zu grauen beginnt, sollt Ihr davonreiten in der Richtung, aus welcher Ihr mit uns gekommen seid. Ihr sollt einen Vorsprung haben von einer Zeit, welche ihr fünf Minuten nennt; dann werden wir euch verfolgen. Ihr sollt bis dahin alles behalten und mitnehmen dürfen, was euch gehört; dann aber werden wir euch töten und es uns holen. Die beiden aber unter Euch, welche Old Death für sich haben will, sollen zwar auch bis dahin unsere Gäste sein, weil sie auch das Calumet mit uns rauchten; aber sie werden nicht mit Euch reiten dürfen, sondern hier bleiben als Gefangene Old Deaths, welcher mit ihnen machen kann, was ihm beliebt. Das ist der Beschluß, den Ihr hören sollt. Der ‚Weiße Biber‘, der Häuptling der Comanchen, hat gesprochen!“
Er wendete sich ab.
„Was?“ rief Gibson. „Ich soll ein Gefangener dieses alten Mannes sein? Ich werde –“
„Seid still!“ unterbrach ihn der Offizier. „Es ist an den Anordnungen des Häuptlings nichts mehr zu ändern. Ich kenne die Roten. Übrigens bin ich überzeugt, daß der gegen uns gezielte Schlag auf die Verleumder zurückfallen wird. Noch ist es nicht Morgen. Bis dahin kann sehr viel geschehen. Vielleicht ist die Rache näher, als man denkt.“
Sie setzten sich wieder nieder, wie sie vorhin gesessen hatten. Die Comanchen aber nahmen ihre Sitze nicht wieder ein, sondern verlöschten ihre Feuer und lagerten sich in einem vierfachen Kreis um die Weißen, so daß diese von allen Seiten eingeschlossen waren. Old Death nahm mich mit aus diesem Kreise hinaus. Er wollte rekognoszieren gehen.
„Meint Ihr, daß wir Gibson nun sicher haben, Sir?“ fragte ich ihn.
„Wenn nicht etwas Unerwartetes geschieht, so kann er uns nicht entgehen“, antwortete er.
„Am allerbesten wäre es wohl, wir bemächtigten uns der beiden sofort?“
„Das ist unmöglich. Die verteufelte Friedenspfeife macht uns zu schaffen. Vor dem Anbruch der Morgenröte werden die Comanchen nicht dulden, daß wir Hand an Gibson legen. Dann aber können wir ihn kochen oder braten, mit oder ohne Gabel verzehren, ganz wie es uns beliebt.“
„Ihr spracht von etwas Unerwartetem. Befürchtet Ihr so etwas?“
„Leider! Ich kalkuliere, daß sich die Comanchen von den beiden Apachen in eine gefährliche Falle haben locken lassen.“
„So haltet Ihr sie in der Tat für Apachen?“
„Ihr sollt mich aufhängen dürfen, wenn sie keine sind. Zunächst kam es mir verdächtig vor, als ich hörte, daß zwei Topias vom Rio Conchos her gekommen seien. Das darf man wohl einem roten
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