02 - Winnetou II
Ohlert werden Sie kein weiteres Gedicht erhalten können; sie sind beide abgereist.“
Ich erschrak, faßte mich indessen schnell und sagte:
„Das tut mir sehr leid. Der Einfall, abzureisen, muß ihnen ganz plötzlich gekommen sein?“
„Allerdings. Es ist das eine sehr, sehr rührende Geschichte. Master Ohlert freilich sprach nicht davon, denn niemand greift in die eigenen Wunden, aber sein Sekretär hat sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich stets des besondern Vertrauens derjenigen erfreue, welche zeitweilig bei mir wohnen.“
„Das glaube ich Ihnen. Ihre feinen Manieren, Ihre zarten Umgangsformen lassen das als ganz natürlich erscheinen“, flunkerte ich mit der größten Unverfrorenheit.
„O bitte!“ meinte sie, trotz der Unbeholfenheit dieser Adulation geschmeichelt. „Die Geschichte hat mich fast zu Tränen gerührt, und ich freue mich, daß es dem unglücklichen jungen Mann gelungen ist, noch zur rechten Zeit zu entkommen.“
„Entkommen? Das klingt ja genau so, als ob er verfolgt werde!“
„Es ist auch wirklich der Fall.“
„Ah! Wie interessant! Ein so hochbegabter, genialer Dichter, und verfolgt! In meiner Eigenschaff als Redakteur, gewissermaßen also als Kollege des Unglücklichen, brenne ich vor Verlangen, etwas Näheres zu hören. Die Zeitungen repräsentieren eine bedeutende Macht. Vielleicht wäre es mir möglich, mich seiner in einem Artikel anzunehmen. Wie schade, daß Ihnen diese interessante Geschichte nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt worden ist!“
Ihre Wangen röteten sich. Sie zog ein nicht ganz reines Taschentuch, um es im Falle des Bedürfnisses sofort bei der Hand zu haben, und sagte:
„Was diese Diskretion betrifft, Sir, so fühle ich mich jetzt nicht mehr zu ihr verpflichtet, da die Herren abgereist sind. Ich weiß, daß man das Zeitungswesen eine Großmacht nennt, und würde ganz glücklich sein, wenn Sie dem armen Dichter zu seinem Recht helfen könnten.“
„Was in meinen Kräften steht, soll ganz gern geschehen; nur müßte ich von den betreffenden Verhältnissen unterrichtet sein.“
Ich muß gestehen, daß es mir Mühe kostete, meine Aufregung zu verbergen.
„Das werden Sie, denn mein Herz gebietet mir, Ihnen alles mitzuteilen. Es handelt sich nämlich um eine ebenso treue, wie unglückliche Liebe.“
„Das habe ich mir gedacht, denn eine unglückliche Liebe ist das größte, herzzerreißendste, überwältigendste Leiden, welches ich kenne.“
Natürlich hatte ich von Liebe noch nicht die blasse Ahnung.
„Wie sympathisch Sie mir mit diesem Ausspruche sind, Sir! Haben auch Sie dieses Leiden empfunden?“
„Noch nicht.“
„So sind Sie ein glücklicher Mann. Ich habe es ausgekostet bis fast zum Sterben. Meine Mutter war eine Mulattin. Ich verlobte mich mit dem Sohne eines französischen Pflanzers, also mit einem Kreolen. Unser Glück wurde zerrissen, weil der Vater meines Bräutigams keine Coloured-Lady in seine Familie aufnehmen wollte. Wie sehr muß ich also mit dem bedauernswerten Dichter sympathisieren, da er aus demselben Grunde unglücklich werden soll!“
„So liebt er eine Farbige?“
„Ja, eine Mulattin. Der Vater hat ihm diese Liebe verboten und sich schlauerweise in den Besitz eines Reverses gesetzt, in welchem die Dame unterschrieben hat, daß sie auf das Glück der Vereinigung mit William Ohlert verzichte.“
„Welch ein Rabenvater!“ rief ich erbittert aus, was mir einen wohlwollenden Blick von der Dame eintrug.
Sie nahm sich das, was Gibson ihr weisgemacht hatte, mächtig zu Herzen. Gewiß hatte die sprachselige Lady ihm von ihrer einstigen unglücklichen Liebe erzählt, und er war mit einem Märchen bereit gewesen, durch welches es ihm gelang, ihr Mitgefühl zu erregen und die Plötzlichkeit seiner Abreise zu erklären. Die Mitteilung, daß er sich jetzt Clinton nenne, war mir natürlich von der größten Wichtigkeit.
„Ja, ein wahrer Rabenvater!“ stimmte sie bei. „William aber hat ihr seine Treue bewahrt und ist mit ihr bis hierher entflohen, wo er sie in Pension gegeben.“
„So kann ich doch noch nicht ersehen, warum er New Orleans verlassen hat.“
„Weil sein Verfolger hier angekommen ist.“
„Der Vater läßt ihn verfolgen?“
„Ja, durch einen Deutschen. O, diese Deutschen! Ich hasse Sie. Man nennt sie das Volk der Denker, aber lieben können sie nicht. Dieser erbärmliche Deutsche hat sie, mit einem Reverse in der Hand,
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