02 - Winnetou II
Kundschafter sein konnte.
Ich untersuchte den Boden sorgfältig. Das Pferd des Indianers war angepflockt gewesen und hatte die halbdürren Büschel des Präriegrases abgefressen; der Reiter hatte am Boden gelegen und mit dem Köcher gespielt. Dabei war ihm der Schaft eines Pfeiles zerbrochen, und er hatte die beiden Bruchstücke ganz gegen die gewöhnliche Vorsicht der Indianer liegenlassen. Ich hob sie auf, um sie zu betrachten. Es war kein Jagd-, sondern ein Kriegspfeil gewesen.
„Er befindet sich auf dem Kriegspfad“, sagte ich; „aber er ist noch jung und unerfahren, sonst hätte er die verräterischen Stücke versteckt, und die Spuren seines Fußes sind nicht die eines erwachsenen Mannes.“
Ein Blick auf die weiterlaufenden Eindrücke genügte, uns zu zeigen, daß der Mann erst vor kurzem den Platz wieder verlassen habe; denn die Kanten derselben waren noch scharf, und die gestreiften oder zerdrückten Halme hatten sich noch nicht vollständig wieder erhoben.
Wir folgten der Spur weiter, bis die Schatten länger und länger wurden; der Abend begann zu dunkeln, und wir waren nun gezwungen, abzusteigen, wenn wir die Fährte nicht verlieren wollten. Aber ehe ich vom Pferd stieg, griff ich zum Fernrohr, um die Ebene vorher noch einmal abzusuchen.
Wir hielten gerade auf einer der zahlreichen, wellenförmigen Erhebungen, welche sich in jenem Teil der Prärie wie die Wogen eines erstarrten Meeres aneinanderlegen, und es war mir deshalb ein ziemlich freier Ausblick gestattet.
Kaum hatte ich das Glas am Auge, so fiel mir eine lange, gerade Linie auf, welche sich von Osten her längs des nördlichen Horizontes bis zum entferntesten westlichen Punkt hinzog. Voll Freuden gab ich Winnetou das Rohr und zeigte ihm die Richtung an, in welcher er es zu führen hatte. Nachdem er einige Zeit hindurchgesehen, zog er es mit einem überraschten „Uff“ wieder ab und blickte mich mit fragendem Ausdruck an.
„Weiß mein Bruder, was für ein Pfad das ist?“ sagte ich. „Es ist nicht der Weg des Buffalo, auch hat ihn nicht der Fuß des roten Mannes ausgetreten.“
„Ich weiß es. Kein Büffel kann die Strecke laufen, welche dieser Pfad durchführt, und kein Indsman vermag, ihn durch die Prärie zu ziehen. Es ist der Pfad des Feuerrosses, welches wir heut noch sehen werden.“
Rasch hob er das Rohr wieder empor und betrachtete mit regem Interesse den durch die Linsen nahegerückten Schienenstrang. Plötzlich aber ließ er das Rohr sinken, sprang vom Pferd und zog es raschen Laufes hinunter in das Wellental.
Natürlich mußte dieses Beginnen einen sehr triftigen Grund haben, und ich ahmte deshalb sein Verhalten ohne Verzug nach.
„Da drüben am Pfad des Feuerrosses liegen rote Männer“, rief er. „Sie stecken hinter dem Rücken der Erhebung; aber ich sah eines ihrer Pferde!“
Er hatte wohlgetan, unseren erhöhten Standpunkt sofort zu verlassen, da wir auf demselben leicht bemerkt werden konnten. Zwar war die Entfernung selbst für das scharfe Gesicht eines Indianers eine sehr bedeutende; aber ich hatte während meiner Streifereien mehrere Male in den Händen dieser Leute Fernrohre gesehen. Die Kultur schreitet eben unaufhaltsam vorwärts, und indem sie den Wilden immer weiter zurückdrängt, bietet sie ihm doch die Mittel, sich bis zum letzten Mann gegen ihre Gewalt zu verteidigen.
„Was sagt mein Bruder zu der Absicht dieser Leute?“ fragte ich.
„Sie werden den Pfad des Feuerrosses zerstören wollen“, antwortete er.
„Das ist meine Ansicht auch. Ich werde sie einmal beschleichen.“
Das Rohr aus seiner Hand nehmend, forderte ich ihn auf, mich hier zu erwarten, und schlich mich vorsichtig vorwärts.
Obgleich ich fest überzeugt sein konnte, daß sie von unserer Nähe keine Ahnung hatten, suchte ich soviel wie möglich Deckung zu behalten und gelangte dadurch so weit an sie heran, daß ich, am Boden liegend, sie zählen und beobachten konnte.
Es waren ihrer dreißig, sämtlich mit den Kriegsfarben bemalt und sowohl mit Pfeilen als auch mit Feuerwaffen bewehrt. Die Zahl der angepflockten Pferde war bedeutend höher, und dieser Umstand bekräftigte meine Ansicht, daß sie Beute machen wollten.
Da hörte ich einen leisen Atemzug hinter mir. Rasch das Messer ziehend, drehte ich mich um. Es war Winnetou, den es nicht bei den Pferden gelitten hatte.
„Uff!“ klang es von seinen Lippen. „Mein Bruder ist sehr kühn, soweit voranzugehen. Es sind Ponkas, die kühnsten der Sioux, und dort liegt Parranoh,
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