02 - Winnetou II
habe?“
„Old Shatterhand?“
„Ja. Daß er es ist, hast du empfunden, denn er hat dich ergriffen und herbeigebracht, ohne daß du ihm zu widerstehen vermochtest. Du befindest dich in unserer Gewalt. Was meinst du wohl, daß wir mit dir anfangen werden?“
„Meine berühmten Brüder werden mich wieder freigeben und fortgehen lassen.“
„Denkst du das wirklich?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil die Krieger der Okanandas nicht Feinde der Apachen sind.“
„Sie sind Sioux, und die Ponkas, welche uns kürzlich überfallen haben, gehören zu demselben Volk.“
„Wir haben nichts mit ihnen zu tun.“
„Das darfst du Winnetou nicht sagen. Ich bin der Freund aller roten Männer, aber wer unrecht tut, der ist mein Feind, von welcher Farbe er auch sei. Und wenn du behauptest, mit den Ponkas nichts zu tun zu haben, so ist das eine Unwahrheit, denn ich weiß ganz genau, daß die Okanandas und die Ponkas sich niemals gegenseitig bekriegt haben und grad jetzt sehr eng miteinander verbunden sind; deine Ausrede gilt also nicht in meinen Ohren. Ihr seid gekommen, diese Bleichgesichter hier zu überfallen; meinst du, daß ich und Old Shatterhand dies dulden werden?“
Der Okananda blickte eine Weile finster vor sich nieder und fragte dann:
„Seit wann ist Winnetou, der große Häuptling der Apachen, ungerecht geworden? Der Ruhm, welcher von ihm ausgeht, hat darin seinen Grund, daß er stets bestrebt gewesen ist, keinem Menschen unrecht zu tun. Und heut tritt er gegen mich auf, der ich in meinem Recht bin!“
„Du täuschest dich, denn das, was ihr hier tun wollt, ist nicht recht.“
„Warum nicht? Gehört dieses Land nicht uns? Hat nicht jeder, der hier wohnen und bleiben will, die Erlaubnis dazu von uns zu holen?“
„Ja.“
„Diese Bleichgesichter haben es aber nicht getan; ist es da nicht unser gutes Recht, daß wir sie vertreiben?“
„Ja; dieses Recht euch abzusprechen, liegt mir fern; aber es kommt auf die Art und Weise an, in welcher ihr es ausübt. Müßt ihr denn sengen, brennen und morden, um die Eindringlinge los zu werden? Müßt ihr wie Diebe und Räuber, die doch sie sind, ihr aber nicht seid, des Nachts und heimlich kommen? Jeder tapfere Krieger scheut sich nicht, dem Feind sein Angesicht offen und ehrlich zu zeigen; du aber kommst mit so vielen Kriegern des Nachts, um einige wenige Menschen zu überfallen. Winnetou würde sich schämen, dies zu tun; er wird überall, wohin er kommt, erzählen, welche furchtsamen Leute die Söhne der Okanandas sind; Krieger darf man sie gar nicht nennen.“
‚Braunes Pferd‘ wollte zornig auffahren, aber das Auge des Apachen ruhte mit einem so mächtigen Blick auf ihm, daß er nicht wagte, es zu tun, sondern nur in mürrischem Ton sagte:
„Ich habe nach den Gewohnheiten aller roten Männer gehandelt; man überfällt den Feind des Nachts.“
„Wenn ein Überfall nötig ist!“
„Soll ich diesen Bleichgesichtern etwa gute Worte geben? Soll ich sie bitten, wo ich befehlen kann?“
„Du sollst nicht bitten, sondern befehlen; aber du sollst nicht wie ein Dieb des Nachts geschlichen kommen, sondern offen, ehrlich und stolz als Herr dieses Landes am hellen Tag hier erscheinen. Sage ihnen, daß du sie nicht auf deinem Gebiet dulden willst; stelle ihnen einen Tag, bis zu welchem sie fort sein müssen, und dann, wenn sie deinen Willen nicht achten, kannst du deinen Zorn über sie ergehen lassen. Würdest du so gehandelt haben, so sähe ich in dir den Häuptling der Okananda, der mir gleich steht; so aber erblicke ich in dir einen Menschen, der sich heimtückisch an andere schleicht, weil er sich nicht offen an sie wagt.“
Der Okananda starrte in eine Ecke des Raumes und sagte nichts; was hätte er dem Apachen auch entgegnen können! Ich hatte seine Arme losgelassen; er stand also frei vor uns, aber freilich in der Haltung eines Mannes, welcher sich bewußt ist, sich in keiner beneidenswerten Situation zu befinden. Über Winnetous ernstes Gesicht ging ein leises Lächeln, als er sich jetzt mit der Frage an mich wendete:
„‚Braunes Pferd‘ hat geglaubt, daß wir ihn freigeben. Was sagt mein Bruder Old Shatterhand dazu?“
„Daß er sich da verrechnet hat“, antwortete ich. „Wer wie ein Mordbrenner kommt, wird als Mordbrenner behandelt. Er hat das Leben verwirkt.“
„Will Old Shatterhand mich etwa ermorden?“ fuhr der Okananda auf.
„Nein; ich bin kein Mörder. Ob ich einen Menschen ermorde, oder ob ich ihn mit dem wohlverdienten Tod
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