02 - Winnetou II
nicht hier.“
„So ist es also doch so, wie ich dachte, und auch mein Bruder Old Shatterhand hat es geahnt: es hat ein Bleichgesicht die Hand im Spiel. Das soll uns zur Milde stimmen. Wenn die Okananda-Sioux keine widerrechtliche Niederlassung der Bleichgesichter auf dem ihnen gehörigen Gebiet dulden wollen, so ist ihnen dies nicht zu verdenken; aber zu morden brauchen sie deshalb doch nicht. Die Absicht dazu war da; sie ist jedoch nicht zur Ausführung gekommen, und so soll ihrem Häuptling das Leben und die Freiheit geschenkt sein, wenn er auf die Bedingung eingeht, die ich ihm stelle.“
„Was forderst du von mir?“ fragte ‚Braunes Pferd‘.
„Zweierlei. Erstens mußt du dich von dem Weißen, der euch verführt hat, lossagen.“
Diese Bedingung gefiel dem Okananda nicht; aber er ging nach einigem Zögern doch auf sie ein; als er dann nach der zweiten fragte, erhielt er zur Antwort:
„Du forderst von diesem Bleichgesicht hier, welches sich Corner nennt, die Ansiedlung von euch zu kaufen oder sie zu verlassen. Erst wenn er keine von diesen beiden Forderungen erfüllt, kehrst du mit deinen Kriegern zurück, ihn von hier zu vertreiben.“
Hierauf ging ‚Braunes Pferd‘ schneller ein; aber der Settler war dagegen. Er berief sich auf das Heimstättengesetz und brachte eine lange Rede hervor, auf welche ihm Winnetou die kurze Antwort gab:
„Wir kennen die Bleichgesichter nur als Räuber unserer Ländereien; was bei solchen Leuten Gesetz, Recht oder Sitte ist, geht uns nichts an. Wenn du glaubst, hier Land stehlen zu dürfen und dann von eurem Gesetz gegen die Bestrafung geschützt zu werden, so ist das deine Sache. Wir haben für dich getan, was wir tun konnten; mehr darfst du nicht verlangen. Jetzt werden Old Shatterhand und ich mit dem Häuptling der Okananda das Calumet rauchen, um dem, was wir ausgemacht haben, Geltung zu verleihen.“
Das war in einem solchen Ton gesprochen, daß Corner darauf verzichtete, etwas dagegen vorzubringen. Winnetou stopfte seine Friedenspfeife, und dann wurde das Übereinkommen, welches wir mit dem ‚Braunen Pferd‘ getroffen hatten, unter den gewöhnlichen, wohlbekannten Zeremonien besiegelt. Ob dem Okanandahäuptling daraufhin zu trauen sei, das bezweifelte ich kaum, und Winnetou war derselben Ansicht, denn er ging zu der Tür, schob den Riegel zurück und sagte zu ihm:
„Mein roter Bruder mag zu seinen Kriegern hinausgehen und sie fortführen; wir sind überzeugt, daß er das, was er versprochen hat, ausführen wird.“
Der Okananda verließ das Haus. Wir schlossen hinter ihm wieder zu und stellten uns an die Fenster, um als vorsichtige Leute ihn so weit wie möglich mit unsern Blicken zu verfolgen. Er entfernte sich nur einige Schritte und blieb dann im Mondschein stehen; er wollte also von uns gesehen werden. Zwei Finger in den Mund steckend, ließ er einen gellenden Pfiff hören, auf welchen seine Krieger herbeigeeilt kamen. Sie waren natürlich höchst erstaunt darüber, von ihm so laut und auffällig zusammengerufen zu werden, während sie doch von ihm jedenfalls angewiesen worden waren, äußerst vorsichtig zu sein und ja kein Geräusch zu verursachen. Da erklärte er ihnen mit lauter Stimme, so daß wir jedes Wort hörten:
„Die Krieger der Okananda mögen hören, was ihr Häuptling ihnen zu sagen hat! Wir sind gekommen, um das Bleichgesicht Corner dafür zu züchtigen, daß es sich ohne unsere Erlaubnis hier bei uns eingenistet hat. Ich schlich mich voran, um das Haus zu umspähen, und dies wäre mir gelungen, wenn sich nicht die zwei berühmtesten Männer der Prärie und der Berge hier befänden. Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apachen, sind gekommen, um diese Nacht bei diesem Haus zu lagern. Sie hörten und sie sahen uns kommen und öffneten ihre starken Arme, um mich zu empfangen, ohne daß ich dies ahnen konnte; ich wurde ihr Gefangener und von der Faust Old Shatterhands in das Haus gezogen. Von ihm besiegt worden zu sein, ist keine Schande, sondern es ist eine Ehre, mit ihm und Winnetou ein Bündnis zu schließen und das Calumet zu rauchen. Wir haben das getan und dabei beschlossen, daß den Bleichgesichtern, welche dieses Haus bewohnen, das Leben geschenkt werden soll, wenn sie es entweder kaufen oder zu einer Zeit verlassen, welche ich ihnen bestimmen werde. Dies ist zwischen uns fest bestimmt worden, und ich werde das Wort halten, welches ich gegeben habe. Winnetou und Old Shatterhand stehen an den Fenstern und hören, was ich
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