02 - Winnetou II
dem Häuptling der Apachen sehr gleichgültig, denn er weiß, daß es ganz gewiß so ist, wie er sagt!“
„Und wenn es so wäre, so müßten die Okanandas auf das strengste dafür bezahlt werden, daß sie sich haben verführen lassen. Wer bei mir einbrechen will, den schieße ich nieder; das ist mein Recht und ich bin entschlossen, es auszuüben.“
„Dein Recht geht uns nichts an; wahre du es, wenn du allein bist; jetzt aber sind Old Shatterhand und Winnetou hier, und überall, wo sie sich befinden, sind sie gewohnt, daß man sich nach ihnen richtet. Von wem hast du dieses Settlement gekauft?“
„Gekauft? Daß ich so dumm wäre, es zu kaufen! Ich habe mich hierher gesetzt, weil es mir hier gefiel, und wenn ich die von dem Gesetz vorgeschriebene Zeit hier bleibe, gehört es mir.“
„Die Sioux, denen dieses Land gehört, hast du also wohl nicht gefragt?“
„Ist mir nicht eingefallen!“
„Und da wunderst du dich, daß sie dich als ihren Feind, als den Dieb und Räuber ihres Landes behandeln? Da nennst du sie rote Hunde? Da willst du sie erschießen? Tu nur einen einzigen Schuß, so jage ich dir eine Kugel durch den Kopf!“
„Aber was soll ich denn tun?“ fragte der Settler, jetzt kleinlaut geworden, da er von dem berühmten Apachen in dieser Weise angesprochen wurde.
„Nichts sollst du tun, gar nichts“, antwortete dieser. „Ich und mein Bruder Old Shatterhand werden für dich handeln. Wenn du dich nach uns richtest, wird dir nichts, gar nichts geschehen.“
Diese Reden waren so schnell gewechselt worden, daß sie kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen hatten. Ich stand indessen an einem der Fenster und sah hinaus, um die Annäherung der Okanandas zu beobachten. Es war noch keiner zu sehen. Sie umschlichen das Haus jedenfalls erst von weitem, um sich zu überzeugen, daß sie nichts zu befürchten hätten und ihr Kommen nicht bemerkt worden sei. Jetzt kam Winnetou zu mir hin und fragte:
„Sieht mein Bruder sie kommen?“
„Noch nicht“, antwortete ich.
„Bist du mit mir einverstanden, daß wir keinen von ihnen töten?“
„Ganz und gar. Der Settler hat ihnen ihr Land gestohlen, und vielleicht hat ihr Kommen auch noch einen andern Grund.“
„Sehr wahrscheinlich. Wie aber machen wir es, sie von hier zu vertreiben, ohne Blut zu vergießen?“
„Mein Bruder Winnetou weiß das ebensogut wie ich.“
„Old Shatterhand errät meine Gedanken wie stets und immer. Wir fangen einen von ihnen.“
„Ja, und zwar den, der an die Tür kommt, um zu lauschen. Oder nicht?“
„Ja. Es wird jedenfalls ein Späher kommen, um zu horchen; den nehmen wir fest.“
Wir gingen an die Tür, schoben den Riegel zurück und öffneten sie so weit, daß nur eine kleine Spalte entstand, grad weit genug, um hinausblicken zu können. An diese stellte ich mich und wartete. Es verging eine geraume Zeit. Im Innern des Hauses war es absolut dunkel und still. Niemand regte sich. Da hörte ich den Späher kommen, oder vielmehr, ich hörte ihn nicht, denn es war wohl nicht das Ohr, mit welchem ich seine Annäherung vernahm, sondern jener eigenartige Instinkt, welcher sich bei jedem guten Westmann ausbildet, sagte es mir. Und wenige Augenblick später sah ich ihn. Er lag an der Erde und kam an die Tür gekrochen. Die Hand erhebend, befühlte er dieselbe. Im Nu hatte ich sie ganz geöffnet, lag auf ihm und faßte mit beiden Händen seinen Hals; er versuchte, sich zu wehren, strampelte mit den Beinen und schlug mit den Armen um sich, konnte aber keinen Ton hervorbringen. Ich zog ihn auf und schaffte ihn in das Haus, worauf Winnetou die Tür wieder verriegelte.
„Macht Licht, Mr. Corner!“ forderte ich den Settler auf. „Wollen uns den Mann einmal ansehen.“
Der Ansiedler kam dieser Aufforderung nach, indem er eine Hirschtalgkerze anzündete und mit derselben dem Indianer, den ich beim Hals losgelassen, aber bei den beiden Oberarmen wieder gepackt hatte, in das Gesicht leuchtete.
„Das ‚Braune Pferd‘, der Häuptling der Okananda-Sioux!“ rief Winnetou aus. „Da hat mein Bruder Old Shatterhand einen sehr guten Fang gemacht!“
Der Indsman war unter meinem Griff beinahe erstickt. Er holte jetzt einigemale tief Atem und stieß dann bestürzt hervor:
„Winnetou, der Häuptling der Apachen!“
„Ja, der bin ich“, antwortete der Genannte. „Du kennst mich, denn du hast mich schon gesehen. Dieser da aber hat noch nicht vor deinem Auge gestanden. Hast du seinen Namen gehört, den ich soeben genannt
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