02 Winter am Ende der Welt
Bild und Alan kommt an ihre Seite.
Ich merke, wie sie dieses Foto in sich aufnehmen. Wer sind diese beiden Unbekannten? Wie hat ihr Leben ausgesehen? Waren sie glücklich zusammen? Oder hat sich diese Frage damals einfach gar nicht gestellt? Weil man sehen musste, wie man durchs Leben kam und das ging einfach besser, wenn man sich zusammenraufte und seine Kräfte zusammentat? Und machen wir uns heute einfach viel zu viel Gedanken? Ich sehe, wie sich Alans Hand etwas bewegt. Und dann bewegt sich Claras Hand und dann stehen die beiden da Hand in Hand vor dem Bild. Alan drückt Claras Hand und Clara umfasst seine Hand ganz fest, und das ist jetzt ungefähr so, wie wenn die beiden da jetzt zusammen in den Sonnenuntergang reiten. Sie drehen ihre Köpfe zueinander, nur ein bisschen und sehen sich an. Und dieser Blick sagt alles. Der Blick sagt: Ich werde versuchen, dich glücklich zu machen, ich möchte mit dir alt werden, ich werde immer für dich da sein, in guten wie in schlechten Zeiten. Du kannst dich auf mich verlassen. Für immer.
Tja, ich denke, das war´s dann ja wohl mit Claras Unabhängigkeit. Die ist jetzt vorbei.
Alan legt seinen Arm um Claras Schulter. Er dreht seinen Kopf zu ihr und flüstert ihr was in Ohr. Clara lacht.
Am nächsten Tag ist die Abreise. Sie zieht sich hin, denn wir können uns nicht voneinander trennen. Aber Paul muss wieder nach Vancouver, er unterrichtet Deutsch und Englisch und macht Übersetzungen, und irgendwo muss das Geld für die täglichen Einkäufe und die Miete ja herkommen, nicht wahr. Und die Prinzessin muss wieder in die Schule. Sie hat jetzt schon einen Tag geschwänzt und Paul wird ihr eine Entschuldigung schreiben. Historisch war das Wochenende ja durchaus wertvoll und vermutlich hat sie hier erheblich mehr gelernt, als sie in der Schule gelernt hätte. Aber auf Dauer geht das natürlich nicht.
Sie steigen in ihr Auto und wir winken. Wir haben kurz den Straßenbericht für The Road auf Jeff´s Facebook-Seite nachgesehen und The Road ist gut in Schuß. Kein Eis, kein Schnee, durchschnittlich normale Anzahl Löcher.
Alan bringt die Taschen in den Leihwagen, seine eine und Claras viele.
„Glücklich?“, sage ich zu Clara.
„Glücklich wie im Tal der Rosen“, sagt Clara.
Wir umarmen uns und Clara sagt zu mir: Du solltest dir auch wieder jemanden suchen, warum gehst du nicht auf eine von diesen Dating-Websites? Die sind voll von Männern. Da muss doch wer drunter sein. Alan umarmt mich auch, und Clara umarmt mich noch mal und dann sind sie alle wieder weg.
Und ich stehe mit Peppermint auf der Straße und winke, da kommt April Green. Mein Gott, ich hatte doch glatt irgendwie vergessen, dass Peppermint eigentlich April gehört. Und jetzt holt sie Peppermint ab. Sie bedankt sich und gibt mir eine Schachtel Nanaimo Bars, die hat sie von Superstore aus der Stadt, und sie richtet mir viele Grüße von ihrer Mutter aus – unbekannterweise – und sie ist mir wirklich dankbar, dass ich Peppermint so lange gehütet habe. Eine ganze Schachtel Nanaimo Bars!
„Kein Problem“, sagt April. „Die halten sich eine ganze Weile im Kühlschrank.“
Ja, das vermutlich schon. Das Problem sind nicht die Nanaimo Bars, das Problem bin ich. Dass sich die Dinger lange halten, glaube ich gerne. Aber wie lange halten sie sich bei mir ? Das ist die Frage. April und Peppermint gehen die Straße runter und ich bin alleine, aber so richtig alleine alleine.
Am nächsten Morgen wache ich auf. Das Haus ist still. Niemand redet oder lacht oder setzt Teewasser auf oder ist im Bad. Keine Pudelschnauze, die mich anstupst, weil sie Prozac oder Fressen oder Gassi gehen will.
Ich bleibe einfach weiter im Bett liegen. Warum aufstehen? Ich denke: was habe ich getan? Ich habe mein Leben zerstört. Jorge hat recht. Ich habe eine harmonische Familie zerstört. Ich werde nie wieder Sex haben. Ich werde nie wieder in den Sonnenuntergang reiten. Was habe ich nur getan?
Draußen gurren die Tauben. Und das Gurren der Tauben – und vielleicht auch, weil es so ein vergangenheitsbeladenes Wochenende war – katapultiert mich um Jahre zurück. Das Gurren der Tauben erinnert mich an ein Wochenende mit Jorge. Wir waren in einem kleinen Gästehaus an der Alentejoküste. In Melides. Es war April. Ein kalter Frühling mit sonnigen Tagen und frischen Morgen. Das Gästehaus lag abgelegen auf einem Hügel und man hörte nichts außer dem Gurren der Tauben. Genau wie hier.
Und wenn ich die Augen schließe, bin
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