02 Winter am Ende der Welt
hin, am besten mit Schaukelstuhl (ganz wie Im Tal der wilden Rosen – Clara und ich sehen uns an – was haben wir schon für schöne Abende mit dieser Sendung verbracht, ach ja). Jetzt sieht es natürlich noch nicht wirklich charmant aus, mit einer rostigen Regentonne vor der Tür und den Dielen, die morsch sind. Ihr müsst ein bisschen aufpassen, sagt Carl, guckt, wohin ihr tretet, okay. Aber es hat Potential, das kann total schön werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass da Touristen kommen werden und sich das ansehen als Beispiel für eine alte Farm, als Beispiel für das Leben der ersten Siedler, als Beispiel für kanadische Geschichte.
Ich sage zu Carl, man könnte Kekse backen, nach alten Rezepten, und Tee anbieten, aus Kräutern, die hier wachsen. Eine Art historisches Café. Ein Museums-Café. Jemand könnte dort Führungen machen, in traditioneller Kleidung. Man könnte ein Klavier reinstellen und auf einem kleinen Tisch würde eine angefangene Handarbeit liegen. Ja, sagt Carl, das könnte man so machen und genauso stellt er sich das auch vor.
Drinnen gibt es Tee aus Campingbechern, was anderes hat Carl noch nicht da. Aber im Großen und Ganzen hat er wirklich schon viel geschafft. In der Ecke ist der Eisenofen. Daneben ein Stapel Holz, damit es austrocknet. An einer Wand eine alte Couch mit einem wunderschönen Quilt. Carl sieht meinen Blick und sagt, der ist von April Green, April macht fantastische Quilts. Was für ein Muster! Was für Farben!
Ich kann mich gar nicht davon trennen, ich fasse den Quilt immer wieder an. April ist eine echte Künstlerin, finde ich. Ich sage zu Carl: Es muss ein wunderbares Gefühl sein, so ein schönes Teil mit den eigenen Händen herzustellen. Es Stück für Stück wachsen zu sehen. Carl nickt und sagt, das kann er gut verstehen, denn genauso geht es ihm mit Johns Farm. Viel mehr Möbel gibt es sonst noch nicht. Einen Tisch und zwei Bänke, eine Anrichte, vorerst mit Campinggeschirr, und kupferne Töpfe an der Wand. Daneben ein gesticktes Bild unter Glas in einem Holzrahmen: Home is where you are happy .
Mein Blick fällt auf ein Foto an der Wand. Ein altes Schwarzweißfoto. Das Foto ist in einem billigen Rahmen aus Plastik, das dunklen Marmor imitiert. Das Foto zeigt die Ecke eines Zimmers. In die Wand eingelassen ein Regal aus dunklem Holz mit ein bisschen Geschirr. Daneben eine Art Kamin, auf dem Kaminsims ein Kerzenleuchter aus Messing.
In der Ecke ein Sessel. Auf dem Sessel ein Paar, vermutlich irgendwas zwischen fünfzig und sechzig, also unser Alter, jedenfalls das von Clara und Alan und mir, aber die beiden sehen sehr viel älter aus, so wie das früher eben war, da sahen die Leute irgendwie älter aus, finde ich. Der Mann sitzt zufrieden in seinem Sessel und hat die Hände überm Bauch gefaltet und die Beine übereinandergeschlagen. Und auf der Sesselkante sitzt die Frau. Sie legt ihren Arm um die Schulter des Mannes, sie lehnt sich etwas an ihn an. Es sieht furchtbar unbeholfen aus. Man sieht deutlich ihren Bauch unter der gepunkteten Kittelschürze. Ihre Beine hängen in der Luft. Sie trägt Schuhe mit Riemen. Der Mann ist in Socken, seine Schuhe stehen vor dem Sessel, merkwürdigerweise verkehrt rum. Vor dem Sessel liegt eine gestreifte Katze und guckt die beiden an. Der Boden ist mit Teppichen bedeckt, die Tapete ist hässlich. Und doch strahlt das Bild Zufriedenheit aus.
„Ist das John Lawrence mit seiner Frau?“, frage ich Carl.
„Nein“, sagt Carl. „John war nie verheiratet, er hat diese Farm hier ganz alleine bewirtschaftet. John war ein richtiger Einzelgänger. Wir sind irgendwie über seinen Bruder verwandt.“
„Wer sind die Beiden auf dem Foto dann?“, frage ich.
„Weiß ich nicht“, sagt Carl. „Ich habe das Foto im Thrift Store in der Kirche gefunden.“
Das ist die Kirche, wo ich montags immer Pfannkuchen essen gehe. Ein Thrift Store ist ein Laden, wo Leute Sachen abgeben, die sie nicht mehr brauchen und andere können sie dann da für ein paar Dollar kaufen und die Kirche kriegt ein bisschen Geld rein. Zusätzlich zu den Pfannkuchen. Der Thrift Store sieht auf den ersten Blick allerdings mehr wie eine Müllstelle aus. Aber wie man jetzt sieht, birgt dieser Müll echte Schätze.
Wir gucken weiter auf die beiden im Sessel, die Prinzessin stellt sich zwischen uns und guckt auch auf das Bild.
„Krass“, sagt die Prinzessin und geht weiter.
„Lass mal sehen“, sagt Clara und drängt sich nach vorne.
Jetzt steht sie vor dem
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