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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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ich wieder da. An diesem Ort, in dieser Zeit. In Jorges Armen, angekuschelt an seinen warmen Körper in einem warmen Bett. Wir haben keine Lust aufzustehen und in das kalte, ungeheizte Bad zu gehen. Wir genießen, dass wir frei haben und dass die Kinder bei Jorges Mutter sind. Wir genießen, dass wir uns haben. Jorge hat mir seine Affäre mit Sofia gebeichtet. Aber die Affäre ist beendet und Jorge hat mir versprochen, dass es nicht wieder vorkommen wird. Ich weiß natürlich auch, dass das vermutlich nicht stimmt. Das wird nicht die letzte Affäre gewesen sein. Aber in diesem Moment, ja, in diesem Moment sind wir glücklich.
    Irgendwann mischt sich das Gurren der Tauben mit dem Klappern von Geschirr und Gelächter auf der Terrasse. Das sind die Gäste, die frühstücken. Wir bleiben einfach liegen. Heute gibt es keine Verpflichtungen. Keine Sorgen. Keine Rechnungen. Kein Kindergeschrei. Keinen angebrannten Toast. Keine verschwundenen Schultaschen. Keine Hektik. Heute ist einfach heute, zusammen im Bett. Es ist ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Irgendwann stehen wir dann doch auf, und weil das Frühstück im Gästehaus vorbei ist, gehen wir ins Dorf. Wir essen Tosta mista (lecker, lecker – Brötchen mit Käse und Schinken, zusammengepresst und gut getoastet) und trinken dazu Galão (auch lecker – dunkler Milchkaffee mit genau der richtigen Mischung aus Espresso und Milch). Wir gehen am Strand spazieren, Hand in Hand, und später bei Fernando am Strand was essen, einfach Schnitzel mit Pommes und Salat, viel Auswahl gibt es bei Fernando nicht. Wir kaufen einen ganzen Stapel Zeitungen und Zeitschriften und liegen stundenlang im Liegestuhl und lesen. Und abends sind wir früh wieder im Bett.
    Und im Bett liege ich auch jetzt. Und aufstehen möchte ich auch nicht. Das ist genauso wie damals. Aber mein Leben ist völlig anders.
     
    Es regnet tagelang. Der Fluss ist dunkelgrün und träge. Ein weißer Schwan schwimmt alleine und einsam den Fluss hoch. Das alleine stimmt, denn es ist nur ein Schwan und nicht zwei oder drei. Das einsam interpretiere ich in den Schwan, denn so fühle ich mich. Nicht, dass ich ein Schwan wäre, aber einsam – ja, einsam bin ich schon. Ich sitze am Computer und vertreibe mir die Zeit, weil ich nicht weiß, was ich sonst so tun könnte.
    Ich habe mein Leben lang meine Familie versorgt. Da war ich gut beschäftigt. Und da war ich auch gut drin, übrigens. Ich habe Ausflüge ans Meer geplant und Kindergeburtstage organisiert. Ich habe Hausaufgaben beaufsichtigt und Nicole und Tiago deutsche Texte diktiert, damit sie anständig deutsch schreiben lernen. Ich sehe aus dem Fenster. Der Schwan ist weg, dafür geht jetzt ein Schwarm Wildgänse die Straße lang. Zu Fuß. Sie könnten auch fliegen oder schwimmen, aber sie gehen zu Fuß. Neunzehn Gänse, die nicht im Gänsemarsch gehen, sondern mehr so als ungeordnetes Triangel langsam die Straße runter watscheln.
    Normalerweise habe ich einen schönen Ausblick auf Rugged Mountain, auf die wild gezackten schneebedeckten Gipfel des Berges, aber heute ist Rugged Mountain hinter Wolken und Nebel verschwunden. Und weil ich nichts Besseres zu tun habe, google ich Rugged Mountain.
    Ein Captain Hamilton Moffat hat mal versucht ihn zu besteigen, im Jahr 1852 und musste aufgeben. Und es hat über hundert Jahre gedauert, bis dann endlich jemand Rugged Mountain erfolgreich bestiegen hat. Was sagt mir das? Dass es manchmal sehr lange dauert, bis irgendwas klappt? Dass alles irgendwann doch noch gut wird? Oder sagt es mir einfach nichts?
    Und jetzt ist auch noch bald Weihnachten! Es wird mein erstes Weihnachten alleine sein. In meinem ganzen Leben. Bisher habe ich Weihnachten immer in Gesellschaft verbracht. Mit Familie. Mit Freunden. Es war vielleicht nicht immer der Hit, aber es war immer jemand da.
    Klar – ich könnte jetzt auch irgendwohin fahren oder fliegen. Anna hat eine E-Mail geschickt, ich kann Weihnachten mit ihr und Miguel in Porto verbringen und sie würden sich freuen, wenn ich komme. Clara und Alan haben mich nach Los Angeles eingeladen und bieten mir an, mit mir den ganzen Sunset Boulevard entlang zu fahren, vom Anfang am Meer bis zum Ende in der Stadt. Paul und die Prinzessin laden mich nach Vancouver ein.
    Und Nicole hat eine Nachricht auf Facebook geschickt: Liebe Mama, Tiago und ich feiern bei Papa. Was ist mit dir? Der Papa macht sich übrigens Sorgen, kannst du ihn nicht mal anrufen oder ihm deine Telefonnummer geben? Deine Nicole
    Aber

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