02 Winter am Ende der Welt
womöglich nicht nur an meiner Seite, sondern überhaupt. Und müsste ich zu allen freundlich sein? Vermutlich schon ... Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht ...
Kathleen kommt zurück, bestellt mir Grüße von Mary von der Post und ich soll auf dem Rückweg da vorbeigehen, da liegt ein Brief für mich.
Der Brief ist von Jorge. Er ist mit Expresspost geschickt und richtig schnell hier gewesen. Der Brief ist ziemlich kurz. Im Umschlag ist ein Foto. Auf dem Foto ist das junge Mädchen, das ich damals im O Retiro gesehen habe und das auch jetzt auf den Fotos von dem Familienessen im Restaurant ist. Sie heißt Joana Almeida, ist zwanzig und Jorges Tochter.
Sie ist doch wirklich und wahrhaftig die Tochter von dieser bebrillten Studentin, die damals bei uns vor der Tür stand und meinte, ich solle ihrem Glück nicht länger im Weg stehen und mich von Jorge scheiden lassen. Er hat von der Tochter nichts gewusst, schreibt Jorge, bis sie vor fünf Jahren vor der Tür stand. Er hat nicht gewusst, wie er es mir sagen soll, und deswegen lieber nichts gesagt. Und Anna und Clara waren auch der Meinung, dass er mir lieber nichts sagen soll.
Das gibt´s doch nicht.
Ich fasse das nicht.
Ich sitze mit dem Brief in der Hand an meinem schmalen Schreibtisch und gucke auf den Fluss. Dann wieder auf das Foto, dann wieder auf den Fluss, dann auf das Foto in Facebook, dann auf die Anfrage, na klar – diese Joana Almeida ist seine Tochter – und sie haben es alle gewusst. Anna und Clara. Nicole und Tiago. Wahrscheinlich sogar die Schwiegermutter. Nur ich habe nichts geahnt. Es ist nicht zu fassen. Das ist mir eine schöne Familie. Das sind mir schöne Freundinnen, die können mich mal! Was ist denn das für eine Familie? Was ist denn das für eine Freundschaft? Die können mich alle mal. Und zwar – wie heißt es so schön? – kreuzweise. Ich weiß zwar nicht so richtig, was es bedeutet, aber genau das können sie mich. Kreuz- und querweise.
Zeit für ein paar Mitteilungen auf Facebook.
Freundschaftsanfrage von Joana angenommen, das arme Kind kann ja schließlich am wenigsten dafür. Anzahl der Freunde auf Facebook damit – dank außerehelichem Nachwuchs des Ehemannes – jetzt auf neunundvierzig. Dem Ziel der Prinzessin wieder ein bisschen näher gekommen.
Dann ändere ich mein Profil. Ich bin jetzt nicht mehr verheiratet, sondern single. Ha. Und damit auch alle wissen, worum es geht, gleich eine schöne Statusmeldung des Tages.
@ alle: Ich begrüße als neues Familienmitglied die Tochter meines Mannes, Joana Almeida
Und dann:
@Clara, @ Anna: ihr habt das gewusst? Ich bin von euch enttäuscht, ihr könnt mich mal – Jasmin
@ Nicole – meine eigene Tochter belügt mich – ach Kind, hab dich natürlich trotzdem lieb, auch wenn´s mir heute schwerfällt, Mama
@ Clara: jetzt sag bloß, die Joana ist die Vorlage für deine Johanna aus Liebe und Lüge. Für eine gute Geschichte tust du wohl alles, was?
@ Anna: von dir hätte ich das nicht gedacht - Jasmin
@Jorge: es reicht, ich will die Scheidung, Jasmin
@ Teresa Monteiro, @ Carlota: brauche dringend Weihnachtskekse, gerne Vanillekipferl
Erst als die ganzen Meldungen raus sind und da im Universum hängen, denke ich, ob die Catarina das absichtlich gemacht hat? Die Fotos auf Facebook gestellt, so dass ich sie sehe? Oder ist es einfach nur passiert? Und wenn sie es absichtlich gemacht hat, war es dann mit dem Ziel, dass ich mich von Jorge scheiden lasse? Damit sie ihn heiraten kann? Ich sehe weiter auf den Fluss. Das Wasser ist immer noch dunkelgrün, aber nicht mehr spiegelglatt. Er fließt jetzt träge in Richtung Inlet. Der Adler sitzt nicht mehr auf dem Baum.
Am Abend kommen April, Jeff und Carl vorbei. Es ist nämlich so, April wollte Jeff als Überraschung zum Abendessen einladen und Jeff wollte April als Überraschung zum Abendessen einladen, zwei Herzen ein Gedanke, und weil ja eine Ahnungslose im Diner Vertretung hatte (ich), die Bestellungen nicht genug hinterfragt hat, gibt es nun Lasagne und Apple Pie für vier. Also haben sie Carl von seiner Farm geholt und stehen nun alle hier. Ich habe noch ein paar Flaschen Wein im Haus. Bier ist auch da. Popcorn auch. Und Carl hat eine DVD dabei – Hellboy zwei. Yep. Mistery Man bringt Hellboy ins Haus, ja, das hat was.
Es wird ein klasse Abend und sogar Hellboy zwei entpuppt sich wider Erwarten als sehr sehbarer Film. Er ist schräg. Er ist bunt. Es ist ein Märchen. Es rührt an unsere
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