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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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hier“, sagt April. „Oder störe ich etwa?“
    Carl und ich sehen uns an. April ist so um die dreißig Sekunden zu früh gekommen. Jetzt ist alles zerstört. Nichts mehr kann einfach passieren, jetzt müssten wir laut und deutlich sagen, was wir wollen und dazu ist noch keiner bereit.
    „Jeff hat sie nicht mehr alle“, sagt April. „Gut, dass ich das rechtzeitig gesehen habe.“
    Carl sammelt seine Sachen zusammen und geht.
    Mist.
    Oder gut. Vielleicht war es gut, dass nichts passiert ist. Wer weiß, wer weiß.
    „Und was war?“, sage ich.
    „Jasmin“, sagt April. „Frag nicht.“
    Sie fängt an sich auszuziehen und zieht ein T-Shirt an, das sie vorhin im Supermarkt erstanden hat. Im Ausverkauf. Heruntergesetzt auf einen Spottpreis. Weil es nämlich noch von Weihnachten ist, mit bärtigen Weihnachtsmännern und Rentieren vor beladenen Schlitten, und sowas will im Februar keiner mehr haben. Und weil sie nicht wirklich damit gerechnet hat, dass sie das Nachthemd heute Nacht braucht, hat sie das hässliche Teil für ein paar Dollar gekauft.
    Ich ziehe ein weißes T-Shirt an. Auch aus dem Supermarkt. Schwierige Wahl. Ich konnte mich überhaupt nicht entscheiden. Es sollte sozusagen das Nachthemd überhaupt sein. Ich wollte super aussehen, ohne dass es gewollt aussehen sollte. Sexy ohne zuviel Ausschnitt oder Transparenz. Hübsch ohne aufgedonnert. Sinnloser Kompromiss: ein weißes XXXL T-Shirt.
    Wir liegen im Dunkeln und ich bin gerade am Einschlafen, da rückt April mit der Sprache raus.
    „Weißt du, was Jeff gemacht hat?“, sagt April.
    „Nein“, sage ich. „Was?“
    „Er hat Präser gekauft“, sagt April.
    „Na, das ist doch sehr umsichtig“, sage ich.
    „Er wollte, dass ich mich an den Präsern beteilige“, sagt April.
    Ich sage nichts.
    „Mit siebzig Prozent“, sagt April. „Nicht mit der Hälfte, nein – mit siebzig Prozent. Und weiß du, wieso?“
    „Weil Männer nicht schwanger werden können?“, sage ich.
    „Genau“, sagt April.
    „Und du hast natürlich erwartet, dass er dich zu dieser Runde Präser einlädt“, sage ich.
    „Irgendwie schon“, sagt April.
    Ich schließe die Augen und denke daran, was diese Nacht hätte sein können und was diese Nacht nicht ist. Und dass Jeff daran schuld ist, dass diese Nacht nicht so ist, wie sie sein könnte.
    „Weißt du, was meine Theorie ist?“, fragt April.
    „Nein“, sage ich.
    Ich fühle mich plötzlich sowas von müde. Vor meinen Augen sehe ich Campbell River und den Schneematsch auf den Straßen, das super Angebot in den Supermärkten, das bin ich überhaupt nicht mehr gewohnt nach meiner Auszeit am Ende der Welt, warum gibt es hundert Sorten Zahnpasta, mir fällt zum ersten Mal auf, wie unsinnig das eigentlich ist, hundert Sorten Zahnpasta.
    „Meine Theorie ist folgende“, sagt April.
    Vor meinen Augen sehe ich uns in den Graben fahren. Immer wieder. Ich sehe die weiße Landschaft. Und den rutschenden Jeep.
    „Nur ein guter Gastgeber ist auch ein guter Liebhaber“, sagt April. „Daran, wie jemand seine Gäste behandelt, wie er für Leute sorgt, daran kann man sehen, wie er mit Bedürfnissen anderer umgeht.“
    Vor meinen Augen sehe ich den Bergpuma, der uns kurz ansieht und dann in den Wäldern des Strathcona Parks verschwindet. Carl war übrigens ein fantastischer Gastgeber, neulich Abend. Er hat mich wirklich verwöhnt. Jetzt wird mir so richtig klar, was mir gerade entgeht. Wenn Aprils Theorie denn stimmt. Aber spricht ja viel dafür, finde ich.
    „Jemand, der so geizig ist wie Jeff, der kann kein guter Liebhaber sein“, sagt April.
    Jeff ist schuld, denke ich, an meinem Verlust heute Nacht. Ich schließe die Augen und versuche nicht an das zu denken, was hätte sein können. Ich bin gerade dabei einzuschlafen, da fängt April wieder an zu reden.
    „Ich leide richtig körperlich bei so viel Knauserei“, sagt April.
    Ich sage nichts, die Augen geschlossen, versuche wieder einzuschlafen.
    „Aber womöglich bin ich ja auch selber schuld. Ich habe mir für die erste gemeinsame Nacht ein fünf-Dollar-Nachthemd mit Weihnachtsmännern und Rentieren gekauft“, sagt April nach ein paar Minuten. „Ich hab sie doch nicht mehr alle. Vielleicht sollte ich doch wieder Prozac nehmen. Und Peppermint vermisst das Prozac auch.“
    Ist April also schuld? Oder bin ich schuld, weil ich nichts gesagt habe, weil ich nicht gesagt habe, nein, ich will das Zimmer nicht wechseln, kommt nicht in Frage, ich will hier mit Carl schlafen? Oder

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