02 Winter am Ende der Welt
bringt eben das ganze Leben durcheinander. Dafür haben wir einen Puma gesehen. Wir stehen im Flur vor den Zimmern 110 und 112, als klar wird – eigentlich möchten April und Jeff ein Zimmer gemeinsam.
Sie drucksen erst ein bisschen rum und sagen dann, wir hätten ja wohl gemerkt, was los ist und wenn sie schon mal zusammen in der Stadt sind, dann wollen sie es auch gemeinsam genießen. Das leuchtet natürlich ein. Nur - wenn April und Jeff ein Zimmer zusammen nehmen, dann müssen sich Carl und ich ein Zimmer teilen.
„Ist das okay?“, fragt Jeff.
„Oder ist das ein Problem?“, sagt April.
„Das ist doch kein Problem, oder?“, sagt Carl zu mir.
Ich sehe auf meine Zehenspitzen. Wow. Ein Zimmer mit Carl. Manchmal hat das Schicksal ja so richtig gute Überraschungen auf Lager. Sozusagen Mega-Glück im Unglück. Ich fühle mich wie ein Schulmädchen. Mein Gott, hoffentlich werde ich jetzt nicht rot. Ich räuspere mich.
„Nein, kein Problem“, sage ich. „Überhaupt kein Problem.“
Ich frage mich, wie viele Betten wohl in dem Zimmer sind. Manchmal sind es ja zwei Doppelbetten in diesen Motelzimmern, aber manchmal ist es auch nur eins. Und wenn es nur eins ist, was dann? Wir haben nicht mal Schlafanzüge. Aber die kann man natürlich im Laden kaufen. Wir müssen ja eh Zahnbürsten und Zahnpasta und Shampoo kaufen. Da kann man auch einen Schlafanzug kaufen. Wenn man denn einen anziehen will. Ich stecke die Karte ins Schloss und mache die Tür auf. Es ist nur ein Bett. Es ist nur ein Bett und ich werde nicht rot und ich denke nicht an heute Nacht.
Wir gehen zu viert los und erforschen die Stadt. Das heißt, die anderen kennen die Stadt ja schon, für mich ist sie neu.
Campbell River liegt an der Ostküste von Vancouver Island, schon ziemlich weit oben im Norden, ein Stückchen überm fünfzigsten Breitengrad, zwischen Nanaimo und Port Hardy. Es hat angeblich fast dreißigtausend Einwohner, wirkt aber irgendwie kleiner. Vielleicht, weil es so ruhig ist. Breite Straßen mit wenig Verkehr. Viele Trucks, viele Vans. Eine Einkaufsstraße unten am Wasser. Mehrere Malls. Eine große Marina. Boote dümpeln im Wasser und Quadra Island wirkt ganz nah. Wir sollten mal rüber nach Quadra Island fahren, sagt Carl zu mir. Carl. Carl an meiner Seite und heute Abend in meinem Bett. So langsam fange ich an, mich richtig zu freuen. Ich bin aufgeregt. Und glücklich. Und ich genieße die Vorfreude. Ich sehe ihn immer wieder an. Carl ist groß und kräftig. Carl hat lange Haare, braune Augen und ein nettes Lachen. Ich frage mich, ob er wohl ein guter Liebhaber ist und ich denke: Bald werde ich es wissen. Bin ich eigentlich noch eine verheiratete Frau?
Nö, irgendwie doch eher nicht, oder.
Wir leben getrennt.
Jorge hat eine Freundin, Catarina. Also bitte.
Es kann gar nicht schnell genug Abend werden, aber es zieht sich irgendwie hin. Wir laufen durch Campbell River, in der Stadt ist Schneematsch, und Carl hält meine Hand, so dass ich nicht ausrutsche und hinfalle. Durch die Handschuhe kann ich seine Haut nicht spüren, aber nicht mehr lange und wir werden im Warmen sein und die Handschuhe ausziehen. Die Mützen absetzen. Die Schals abwickeln. Die Jacken ausziehen. Und alles, was wir sonst noch so zwischen Jacke und Haut haben.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch laufen wir zu viert durch die Stadt. Wir gehen ins Pub und essen frittierte Tintenfischringe mit Pommes und trinken dazu Bier. Und noch mehr Bier. Schließlich muss keiner mehr fahren, weil das Auto ja schon im Graben liegt, nicht wahr. Dann sagen April und Jeff, dass sie noch was einkaufen müssen, und wenn wir wollen, können wir schon mal los, was wir auch tun.
Wir gehen langsam zurück zum Inn. Wir schlendern. Wir bleiben vor den Schaufenstern stehen und kommentieren die Auslagen. Wir gucken hoch zu den Sternen. Wir gehen Hand in Hand, damit ich nicht ausrutsche. Ich frage mich, wie das wohl gleich im Zimmer wird.
Im Zimmer ist es warm und gemütlich. Wir machen die Vorhänge zu und die ungemütliche Außenwelt mit Schnee und Eis und Kälte bleibt draußen. Wir stehen nah beieinander. Carl nimmt mein Gesicht in seine Hände. Gleich wird er mich küssen.
Da klopft es. Aber wie. Aber heftig. Wir zucken zusammen, wir hatten in der Tat vergessen, dass da draußen noch eine andere Welt ist. Wir waren gerade dabei unterzutauchen. In unsere eigene Welt einzutauchen. Ich gehe zur Tür und öffne.
Es ist April. Sie hat ihre Sachen bei sich.
„Ich schlafe
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