02 Winter am Ende der Welt
Hauptgang: Steak mit Kräuterbutter, marinierte Trauben und Ofenkartoffeln. Die Nachspeise: Mousse au Chocolat. Und zwar die beste, die ich je in meinem Leben gegessen habe.
Mein Tischpartner der vollendete Gentleman.
Seine Geschichten voller Abenteuer, in denen Orte wie Dawson City, Delta Junction und Fairbanks eine Rolle spielen. Er hat sich sein Studium als Geologe mit Feldforschungen finanziert und mehrere Sommer im Kispioux-Valley verbracht. Sie haben in Zelten geschlafen und Mäuse in Eimern gefangen und die Eichhörnchen haben ihnen die Schokoriegel weggefressen. Wie man Mäuse in Eimern fängt? Ganz einfach. Man bohrt eine leere Dose auf und zieht sie auf einen Draht. Dann hängt man diese Dose über einen mit Wasser gefüllten Eimer und legt etwas Erdnussbutter drauf. Das zieht die Mäuse an. Sie laufen über den Draht zu der Dose, klettern auf die Dose, um an die Erdnussbutter zu kommen – und zack – die Dose dreht sich und die Maus fällt ins Wasser. Einziger Nachteil: wenn schon sehr viele tote Mäuse in dem Eimer liegen, dann könnten die zuletzt reingefallenen Mäuse wieder rausspringen. Also muss man die Eimer jeden Tag leeren. Super Falle. Carl ist einen Sommer lang mit dem Auto durch Kanada und Alaska gefahren, von Vancouver über Dawson City nach Anchorage und runter bis nach Homer und dann noch rüber mit der Fähre nach Seldovia. Unterwegs hat er fotografiert und gezeichnet, er hat gedacht, dass er da vielleicht Artikel drüber schreiben könnte, aber daraus ist dann nichts geworden. Irgendwann hat er das Studium abgebrochen und ein paar Monate auf einer Bohrinsel gearbeitet. Er hat im Winter eine Lodge in der Nähe von Talkeetna gehütet und ist mit Fischern in Griechenland draußen gewesen.
In Griechenland? Ja, in Griechenland. Er hat eine Reise durch Europa gemacht, als er noch jung war (in meinen Augen ist Carl ja eigentlich immer noch jung, schon deswegen, weil er jünger ist als ich, und zwar fünf Jahre).
Draußen fährt Jeff in seinem Jeep die Straße runter und der Typ mit dem Boxer an der Leine und dem Kaffeebecher in der Hand geht die Straße hoch.
Ist Carl nie in Versuchung gekommen, ein bürgerliches Leben zu führen? Nein, sagt Carl, ist er nicht. Hat er nie für die Zukunft vorsorgen wollen, frage ich ihn. Nein, sagt Carl, hat er nicht, und irgendwie ergibt sich immer was Neues, etwas, das man gar nicht einplanen kann, weil man zum Zeitpunkt der Planung noch nichts davon weiß. Aber was, aber wenn ... ich versuche es mit Einwänden, den normalen Einwänden, mit denen ich aufgewachsen bin und die die meisten von uns dazu bringt, ihr Leben anständig zu strukturieren, in Rentenpläne einzuzahlen und Sparbücher anzulegen, Wohnungen zu kaufen und Vorräte anzulegen.
Irgendwie geht es immer, sagt Carl. Er verdient eine Zeitlang gut und dann lebt er eine Zeitlang davon. Er hütet Häuser und hilft auf Farmen, er fährt mit Booten raus und lebt in der Wildnis. Und wenn es mal nicht mehr geht, sage ich, wenn du krank wirst, wenn du nicht mehr arbeiten kannst, was dann? Und wenn ich morgen tot umfalle, sagt Carl, was dann?
Beeindruckt mich ja schon, die Art, wie Carl lebt.
Aber könnte ich das, wäre das eine Lösung für mich?
Nein, überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. Ich brauche Sparbücher und Rentenpläne und einen Kalender mit Terminen. Ich brauche Sicherheit und ein Grund, warum ich jetzt hier so durchhänge, ist ja, dass ich nicht weiß, was morgen ist. Dass ich nicht mal weiß, was ich für mein Morgen möchte, wie mein Morgen aussehen soll. Von übermorgen ganz zu schweigen.
Jetzt gehen Jeff und April mit Peppermint an der Leine die Straße hoch. Peppermint hat ein neues blaues Halstuch um. Jeff und April gehen nebeneinander her, fast im Gleichschritt. Jeff erzählt mit seinen Händen in der Luft, April lacht und Peppermint schnüffelt die Straße ab.
Carls neues Projekt ist die historische Farm. Seine Familie will eine Stiftung gründen, und da wäre dann sogar ein Gehalt für Carl drin, und für einen Angestellten. Oder Angestellte. Und ob ich vielleicht Lust hätte, da zu arbeiten? Ich hatte doch so gute Ideen, als wir das erste Mal auf der Farm waren, Ideen, wie man das Museumscafé einrichten und betreiben könnte.
Und schon hat sich ein neuer Job für mich ergeben.
Ich versuche es noch mit ein paar Einwänden, was ist mit Aufenthaltsgenehmigung und was ist mit Arbeitsgenehmigung und was ist mit ... als Carl mich stoppt. Ich soll mir überlegen, ob ich es
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