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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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ist Carl schuld, denn der hätte ja auch was sagen können. Ich denke, wir sind alle schuld.
    Jeff, weil er geizig ist.
    April, weil sie nicht vorgesorgt hat.
    Carl, weil er mich nicht geküsst hat.
    Ich, weil ich feige bin.
    Und Jorge, weil er mir untreu war, denn wenn Jorge mir nicht untreu gewesen wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier. Ich finde: im Grunde ist Jorge schuld. Wie immer. An allem. Und mit diesem vertrauten Gedanken schlafe ich ein.
     
    Am nächsten Morgen ist die Stimmung so richtig Scheiße. Zwischen mir und Carl herrscht eine undefinierte Spannung, etwas Ungeklärtes, eine Mischung aus Unsicherheit und Anziehung. Wahrscheinlich denken wir beide, wenn´s dem anderen wirklich wichtig gewesen wäre, die Nacht zusammen zu verbringen, dann hätte der doch was gesagt und weil der andere nichts gesagt hat, war´s ihm nicht wirklich wichtig.
    Und April redet nicht mit Jeff. Das Interessante: Jeff ist wie immer. Der merkt überhaupt nicht, dass was nicht in Ordnung ist. Wir frühstücken im White Spot und ich frage mich, wie wir das mit der Rechnung machen. In Portugal kommt die Rechnung ja immer erst, wenn man sie bestellt, weil man zahlen möchte. Und dann übernimmt einer die Rechnung oder man teilt einfach durch die Anzahl der Personen. Aber hier kommt die Rechnung immer gleich.
    Die Kellnerin bringt Eggs Benedict für mich, Pfannkuchen für Carl, Pfannkuchen mit Sahne und Obst für April und Rührei für Jeff. Dann schenkt sie uns allen Kaffee nach, obwohl die Becher ja eigentlich noch voll sind und bringt die Rechnung. Das ist keine Aufforderung schneller zu essen oder ein Rauswurf, sondern das ist einfach Landessitte.
    Wir essen unser Essen.
    Keiner rührt die Rechnung an.
    Die Kellnerin kommt und fragt, ob alles in Ordnung ist. Sie meint natürlich unsere Eier, Omeletts und Pfannkuchen und ja, die sind in Ordnung. Zu dem Rest äußern wir uns lieber nicht.
    „Du musst übrigens noch mal bei Kathleen vorbeigehen, da ist noch deine Hälfte von der Rechnung von neulich offen“, sagt Jeff jetzt zu April. „Ich hab´s für dich anschreiben lassen.“
    Und wenn das jetzt ein Comic wäre, würde der Zeichner über Aprils Kopf ein paar dicke Fragezeichen zeichnen.
    „Was für eine Rechnung neulich?“, sagt April und redet nun doch mit Jeff. „Ich zahle bei Kathleen immer gleich.“
    „Die Lasagne und der Apple Pie“, sagt Jeff.
    „Aber ich habe meine Lasagne und den Apple Pie bezahlt“, sagt April.
    „Vielleicht den Teil, den du bestellt hast“, sagt Jeff. „Aber da ist ja noch deine Hälfte von dem, was ich bestellt habe.“
    Ich schicke ein kleines Stoßgebet zum Himmel, ein kurzes Lieber-Gott-bitte-lass-mich-nie-so-werden, so knickerig-knauserig, und ich lege im Kopf eine Liste an mit Eigenschaften, die mir bei einem Mann wichtig sind. Und an die erste Stelle setze ich Großzügigkeit. Ich drehe die Rechnung um, es sind fast achtzig Dollar, das lässt sich einfach durch vier teilen, bisschen Trinkgeld drauf, fertig.
    „Jeder vierundzwanzig?“, sage ich.
    „Meins hat weniger gekostet“, sagt Jeff.
    „Dann leg einfach irgendwas hin“, sagt Carl und Jeff legt fünfzehn rein, und Carl legt fünfunddreißig rein und April sieht aus, als ob sie gleich im Boden versinkt.
    „Kann man hier eigentlich Delphine sehen?“, frage ich. Einfach um mal auf ein anderes Thema zu kommen, schließlich sind wir hier noch für eine ganze Weile zusammen. Wer weiß, wann Jeffs Jeep fertig ist.
    „Manchmal schon“, sagt April. „Vorne auf dem Pier.“
    „Lasst uns zum Pier gehen“, sagt Carl. „Vielleicht haben wir ja Glück und sehen Delphine.“
    Wir laufen durch die Stadt. Das Wetter ist unglaublich trübe und grau. Leichter Nieselregen fällt vom Himmel und macht den Schnee endgültig zu Schneematsch. Ich laufe und sehe nach unten. Ich bin einsam. Jorge fehlt mir. Ich frage mich, was ich hier eigentlich mache. Ich frage mich, was ich überhaupt machen soll. Ich kann hier doch nicht ewig einfach rumhängen. Ich müsste meinem Leben eine Richtung geben. Aber welche?
    Wir laufen den Pier hoch und sehen auf die Strait von Georgia. So heißt das Wasser hier nämlich, diese Durchfahrt zwischen Vancouver Island und Festland. Ein paar Angler stehen auf dem Pier und versuchen Fische zu fangen. Lachse, Heilbutt und was es hier sonst noch so gibt. Vorne am Pier gibt es einen kleinen Kiosk, wo sie Snacks und Eis verkaufen, aber uns ist nicht nach Eis, uns ist auch so kalt genug.
    Wir laufen den Pier nach

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